Pharmazeuten genießen das besondere Vertrauen der Patienten
Apotheker stützen die Therapietreue
Therapietreue ist ein unglücklicher Begriff, denn die Treue der Patienten gilt nicht der Therapie sondern der eigenen Gesundheit – die Therapie ist nur das hilfreiche Mittel zu diesem Zweck. Doch oftmals ist die erfolgversprechende Therapie mit Eingriffen in den gewohnten und bevorzugten Lebensstil verbunden. Und womöglich deshalb verhalten sich viele Patienten so, als würden sie der Therapie ihrem Arzt zuliebe folgen und nicht aus zulässigem, ja notwendigem Eigennutz. Ein intensives Gespräch mit dem Apotheker hilft den Patienten eine Perspektive zu finden, die „Therapietreue“ zu einem persönlichen Anliegen werden lässt.
Auch der im englischen Sprachraum verwendete Begriff „Compliance*“ (bedeutet Einwilligung, Zustimmung) suggeriert, dass den Patienten etwas abgenötigt wird. Doch zumindest wird auf die moralische Komponente der „Treue“ verzichtet, eine Einwilligung oder Zustimmung zur Therapieempfehlung des Arztes kann auch aus rein rationalen Gründen gegeben werden.
Compliance besteht aus zwei Aspekten:
- Ausführungsqualität (quality of execution), Einhalten der Dosierungsanweisung (gilt nicht nur für Medikamente, sondern auch für Gymnastik und geringere Kalorienaufnahme)
- Persistenz (persistence), Einhalten der Regelmäßigkeit und Dauer der Therapie (keine Tablettenpausen, keine „kleinen Sünden“ und kein vorzeitiger Therapieabbruch)
Für Patienten gibt es viele Gründe, die Compliance zu vernachlässigen. Wenige beabsichtigen diesen Schritt, die Mehrzahl versucht im Nachhinein das versehentliche Abweichen vom Therapieplan rational zu rechtfertigen. Versucht man die Vielzahl der individuellen Beweggründe zu ordnen, ergeben sich typische Muster für die Non-Compliance:
- Intelligente Non-Compliance: Patienten folgen der Therapie korrekt, setzen sie aber vorzeitig ab, sobald das subjektive Therapieziel (Rückgang oder Verschwinden der Beschwerden) erreicht ist oder sich unangenehme Nebenwirkungen einstellen.
- Unwillkürliche Non-Compliance: Patienten vergessen einzelne Therapieeinheiten (Arzneimitteleinnahmen, Bewegungstrainings), deren Verteilung im Therapieplan ist zufällig und zumeist nicht nachvollziehbar.
- Regelmäßige Non-Compliance: An sich wird die Therapieempfehlung befolgt, doch an Wochenenden, in den Freien, wenn es etwas zu Feiern gibt wird sie für zwei oder mehr Tage missachtet. Anschließend setzen die Patienten die Therapie wieder getreu den Empfehlungen fort. Im englischen Sprachraum hat sich dafür der anschauliche Begriff „drug-holidays“ durchgesetzt. Auslöser kann eine intelligente Non-Complance sein, aber auch eine Unwillkürliche Non-Compliance.
- Weißkittel-Compliance: Nur kurz vor der Kontrolluntersuchung wird die Therapie korrekt eingehalten. Einige Patienten vernichten auch überzählige Arzneimittel um eine regelmäßige Einnahme vorzugaukeln.
Die Auswirkungen der Compliance auf die Gesundheit der Patienten ist offensichtlich. Ein verantwortungsvoller Arzt wählt die Verordnung, die aufgrund der aktuellen Forschungslage die optimalen Behandlungsergebnisse verspricht. Versagt die Therapie, sind die Ergebnisse nicht zufriedenstellend oder rufen sie drastische Nebenwirkungen hervor, wird der Arzt eine andere Behandlungsmethode wählen. Dabei wird der Arzt stets von einer optimalen Compliance seiner Patienten ausgehen – wahrscheinlich allzu oft zu unrecht. Denn die Non-Compliance wird von den Patienten zumeist nicht eingestanden. Dem Arzt fehlt eine wichtige Bewertungsgrundlage für den Erfolg der verordneten Therapie; der Wissenschaft fehlt aus dem selben Grund eine verlässliche Datengrundlage für die Bemessung und Bewertung der Patienten-Compliance.
Es gibt jedoch Erkrankungen, bei denen sich Non-Complience direkt in physiologischen Messwerten abbildet: kardiovaskulären Erkrankungen wie Hypertonie (Bluthochdruck), Diabetes (Zuckerkrankheit), Dyslipidämie (Fettstoffwechselstörung zumeist erhöhte Cholesterinwerte), Herzinsuffizienz (Herzschwäche) oder entsprechenden Risikofaktoren. Unregelmäßigkeit bei der Medikamenteneinnahme spiegelt sich unmittelbar in den Protokollen für Blutdruck, Blutfette, Blutzucker wider.
Ein britisches Forscherteam analysierte wissenschaftliche Studien zum Einfluss des Apothekenpersonals auf die Compliance von Herz-Kreislauf-Patienten. Von den 42 untersuchten Publikationen, die zwischen den 1. Januar 1990 und dem 19. November 2013 veröffentlicht wurden, zeigten 26 einen merklich positiven Effekt des Informations-Engagements der Apotheken. Von den 17 Studien, die auf Bluthochdruck fokussierten, zeigten 16 reduzierte Herz-Kreislauf-Risiken infolge des Gesprächsangebots in der Apotheke. Für Diabetes-Patienten war das Ergebnis nicht so einheitlich, aber auch hier zeigten 6 von 10 Studien einen positiven Effekt.
Die für diese Analyse herangezogenen Studien nutzen sehr unterschiedliche methodische Konzepte, eine einheitliche Bewertung der Ergebnisse mit quantitativer Bestimmung des Effektes auf die Non-Compliance ist daher nicht möglich. Doch bei qualitativer Betrachtung ist der positive Apotheken-Effekt auf die Compliance der Patienten offensichtlich. Aus Sicht der Patienten sind die Gesprächspartner in der Apotheke nicht Teil der Therapieüberwachung, diese Rolle kommt vorrangig dem Arzt zu. Dem Apotheker stehen aufgrund seiner Sonderrolle mehrere Möglichkeiten offen, positiv auf die Compliance der Patienten zu wirken:
- Schulung: Ausführliche Erläuterung der Erkrankung und der Therapiewirkung, welchen Effekt haben die Medikamente und die anderen Maßnahmen – wieso können welche Nebenwirkungen auftreten. Zumeist fällt es den Patienten dann leichter, die Therapie konsequent anzuwenden und auch unerwünschte Wirkungen zu ertragen.
- Verhaltenstraining: Medikamenteneinnahme oder Bewegungstraining in den Tagesablauf integrieren, damit sich Routine einstellt. Je nach Vorlieben und Vorbildung der Patienten können dies an markante Stellen der Wohnung platzierte Erinnerungskarten sein, sich täglich wiederholende Gewohnheiten wie Nachrichten im TV ansehen oder Zähneputzen können als Zeitanker dienen, eine Smartphone-App oder eine speziell konstruierte Medikamentenschachtel kann ebenso zuverlässig an die fällige Therapiemaßnahme erinnern. Diese Maßnahmen werden auch als „cue dosing“ bezeichnet.
- Gezieltes Beobachten: Viele Patienten leiden unter mehreren Erkrankungen und sind daher häufiger in der Apotheke als beim Arzt. Entsprechend dichter sind die Gelegenheiten getaktet bei den Patienten die Therapieergebnisses zu prüfen. Gewicht- und Blutdruckmessen wird in der Apotheke als Service genutzt, beim Arzt ist es Kontrolle und provoziert Weißkittel-Compliance. Der „gute Wert“ in der Apotheke kann motivieren und die Compliance fördern.
- Therapieanpassung: Die Mehrzahl der Apotheker unterhält ein kollegiales Verhältnis zu den Ärzten der Patienten, zumindest die Hausärzte sind gemeinhin gut bekannt. Compliance-Problemen kann beispielsweise durch eine Vereinfachung der Therapieanforderungen durch Retard- oder Kombinationsmedikamente (bewirken weniger häufige Arzneimitteleinnahme) begegnet werden. Zusätzliche Medikamente können Nebenwirkungen lindern und somit die Akzeptanz der Therapie erhöhen.
Letztendlich entscheidet die freiwillige Compliance der Patienten und ihre Bereitschaft, sich dabei unterstützen zu lassen, über den Therapieerfolg.
* Gelegentlich wird auch der Begriff „Adhärenz“ (englisch: adherence) als Therapietreue-Synonym verwendet. Direkt übersetzt bedeutet dies „sich an die Vorgaben halten“. Der Patient erscheint dabei jedoch allzu sehr als Befehlsempfänger. Der Begriff „Konkordanz“ (englisch: concordance; deutsch: Übereinstimmung) vermeidet diesen hierarchischen Aspekt und betont die aktive Rolle des Patienten. Doch konnte sich „Konkordanz“ bisher in der Literatur nicht durchsetzten.
Quellen: Jalal Z.S. et al. (2014): Pharmacy care and adherence to primary and secondary prevention cardiovascular medication: a systematic review of studies. European Journal of Hospital Pharmacy 21 (4): 238–244. doi:10.1136/ejhpharm-2014-000455
Erstellt am 27. November 2014
Zuletzt aktualisiert am 27. November 2014

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