Bei Gesunden ist Luftfeuchte und Schwüle weniger relevant

Steigt die Temperatur, fällt der Blutdruck

von Holger Westermann

Der Einfluss des Wetters auf den Blutdruck ist offensichtlich. Bei Hitze weiten sich die Adern und der Blutdruck fällt. Davon sind nicht alle Menschen gleichermaßen betroffen. So reagieren ältere Menschen auch dann stärker auf eine ansteigende Lufttemperatur als jüngere, wenn sie nicht unter einer Herz-Kreislauf-Erkrankung leiden. Die Luftfeuchte, als Schwüle zu spüren, spielt bei der Blutdruckabsenkung kaum eine Rolle - durch den höheren Wasserverlust beim Schwitzen steigt jedoch das Infarktrisiko.

Die Körpertemperatur sollte beim Menschen tagsüber stabil bei 36,5 bis 37,4°C liegen (im Schlaf bei 36,2°C). Muskelarbeit und Organaktivität (insbesondere der Leber) erzeugen aber ständig Wärme, die über die Haut (und ein wenig über die Atmung) abgeführt werden muss. In kalter Umgebung gelingt das leicht. Das in der Körpermitte erwärmte Blut kühlt an der Haut ab und fließt wieder zurück. Die Intensität der Kühlung wird über die Blutmenge in den Haut-Blutgefäßen geregelt: geringer Durchmesser bei besonders effektiver Kühlung (Kälte), großer Durchmesser bei geringem Kühleffekt.

Bei Hitze bedarf es einer sehr großen Blutmenge, wenn die Temperaturdifferenz zwischen Umgebungsluft und Kerntemperatur des Körpers kaum noch einen Kühlungseffekt erlaubt. Dann weiten sich die Adern maximal, das Volumen des Blutkreislaufs wird größer. Da sich die Blutmenge nicht vergrößert, sinkt bei konstanter Pumpleistung des Herzens der Blutdruck in den Adern.

Schwitzen unterstützt die Abkühlung. Die Verdunstungskälte kühlt die Hautoberfläche, so dass selbst bei einer Lufttemperatur über 37°C noch Körperwärme abgeführt werden kann. Doch bei Schwüle, wenn die Luft bereits weitgehend mit Wasserdampf gesättigt ist (hohe relative Luftfeuchte), verdunstet kaum noch Wasser. Der Schweiß rinnt ohne kühlenden Effekt am Körper hinab. Ein Gutteil dieses Wassers gewinnt der Körper aus dem Blut, dessen Volumen sich dabei verringert und der Blutdruck fällt noch weiter. Zudem dickt das Blut dabei ein, es wird zähflüssig und damit steigt das Infarktrisiko.

Eine niederländische Studie an 101.377 Blutspendern bestätigt nun den engen Zusammenhang zwischen Lufttemperatur und Blutdruckwert. Die durchweg gesunden Menschen (50% Frauen) zwischen 18 und 70 Jahren spendeten zwischen 2007 und 2009 mehrfach (insgesamt 691.107), so konnten ihre Blutdruckwerte bei sehr unterschiedlichen Wetterbedingungen gemessen werden. Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind gemeinhin von der Blutspende ausgeschlossen und zählten somit auch nicht zum Kreis der Probanden.

In dieser zwar umfangreichen aber nicht repräsentativen (die gesamte Bevölkerung abbildenden) Zufallsstichprobe sind überwiegend gesunde Menschen mit einer altruistischen, selbstlos dem Gemeinwohl verpflichteten, Lebenseinstellung vertreten. So identifizierte eine Studie an Schweizer Blutspendern ein hohes Verantwortungsgefühl als Motivator: Echter Altruismus, garniert mit der Hoffnung auf Anerkennung (impure altruism) sowie der Gewissheit, dass andere ohnehin nicht spenden werden und es somit auf ihr persönliches Engagement ankomme (reluctant altruism). Auch diese Einstellung und moralische Haltung ist in der Gesellschaft nicht gleichmäßig verteilt. Sie findet sich eher in solide situierten Bevölkerungskreisen (nicht zwingend mit hohem Einkommen). Ökonomischer oder sozialer Stress, die ebenfalls einen enormen Einfluss auf die Volatilität (Schwankungsneigung und -breite) der Blutdruckwerte ausüben, sind hier unterdurchschnittlich häufig zu erwarten.

Dennoch ermöglichen die Ergebnisse der Studie einen hilfreichen Einblick in den Zusammenhang zwischen Wetter und Blutdruck. So wirkte sich die Lufttemperatur auf den systolischen und diastolischen Blutdruck vergleichbar stark aus. Bereits ab +8°C sank der durchschnittliche Blutdruckwert durchgängig in allen Altersgruppen. Pro Anstieg um ein Grad verringerten sich im Schnitt der systolische Blutdruck um 0,18 und der diastolische um 0,11 mm Hg. Dabei erwiesen sich im oberen Temperaturbereich (in den Niederlanden liegen die Temperaturmaxima unter dem mitteleuropäischen Niveau) ältere Menschen als besonders sensibel. So sank bei Frauen über 60 Jahren der systolische Blutdruck durchschnittlich von 140 auf 132 mm Hg; bei Männern zwischen 18 und 30 Jahren hingegen nur von 134 auf 129 mm Hg. Einen Einfluss der Luftfeuchte, die vorrangig die Differenz zwischen gefühlter Temperatur und Thermometerwert bestimmt, konnten die Forscher hingegen nicht feststellen.

„Der Zusammenhang zwischen mittlerer Tagestemperatur und Blutdruck könnte zum Teil erklären, warum das Sterberisiko aufgrund von Herz-Kreislauferkrankungen bei extremen Wetterverhältnissen zunimmt“, erläutern die Forscher in ihrem Fazit. Sie empfehlen: „In zukünftigen Blutdruckstudien sollten die jahreszeitlich unterschiedlichen Außentemperaturen berücksichtigt werden – vor allem bei Älteren“. Sie räumen ein, dass eine Untersuchung an Menschen mit eingeschränkter Gesundheit womöglich andere Resultate ergibt. So ist zu erwarten, dass dann die Luftfeuchte und damit die gefühlte Temperatur eine größere Bedeutung erfährt. Kann bei Schwüle die Körpertemperatur nicht mehr zuverlässig reguliert werden, ertragen gesunde Menschen die Zusatzbelastung erheblich besser als Herz-Kreislauf-Patienten. Menschen, die aufgrund von Bluthochdruck (Hypertonie) regelmäßig Medikamente einnehmen, fallen bei großer Hitze oftmals in eine Phase mit zu niedrigem Blutdruck. Die Folge sind Konzentrationsschwäche, Muskelschwäche und Schwindel - das Risiko zu Stürzen und sich zu Verletzen steigt. Insofern ist eine Blutdrucksenkung bei Hitze für chronisch kranke Menschen eine konkrete Gefahr, die gesunde Menschen so nicht erleben.

Menschen mit dauerhaft niedrigem Blutdruck (Hypotonie) kennen solche Sommersymptome, oftmals gesellen sich auch noch Kopfschmerzen dazu. Gerade junge schlanke Frauen klagen über sehr niedrigen Blutdruck. Ein Heißlufteinstrom oder drückende Schwüle kann die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigen.

Quellen:

van den Hurk, K. et al. (2015): Higher outdoor temperatures are progressively associated with lower blood pressure: a longitudinal study in 100,000 healthy individuals. Journal of the American Society of Hypertension, DOI: 10.1016/j.jash.2015.05.003

Evans, R.; Ferguson, E. (2014): Defining and measuring blood donor altruism: a theoretical approach from biology, economics and psychology. Vox Sanguinus 106 (2): 118–126.

Westermann, H. (2012): Das Wetter schlägt aufs Herz. Diabetes, Stoffwechsel und Herz 21 (4): 282-283

Erstellt am 16. Juli 2015
Zuletzt aktualisiert am 16. Juli 2015

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