Wetter

Unwettergewitter

von Holger Westermann

Starkregen, Hagel und Überschwemmungen beherrschen die Wetterberichte schon seit mehr als sieben Tagen; zunächst als Prognose, inzwischen als Beschreibung konkreter Verwüstungen. Die erste Gewitterserie führte das Tief „Elvira“ heran, die zweite das Tief „Friederike“. Ungewöhnlich ist, dass diese Tiefdruckgebiete von Ost nach West über Mitteleuropa hinweg ziehen.

Gewöhnlich kommen Tiefdruckgebiete hierzulande vom Atlantik über die Britischen Inseln oder Frankreich - aus Westen. Ihre Zugbahn beeinflusst das Azorenhoch, je weiter es sich nordwärts reckt, um so eher ziehen die Atlantiktiefs über Skandinavien anstatt über Mitteleuropa. Deshalb bestimmen im Frühjahr und Herbst, wenn das Azorenhoch schrumpft, durchziehende Tiefdruckgebieten das Wetter; im Sommer werden sie auf eine nördliche West-Ost-Zugbahn gelenkt und es bleibt hierzulande weitgehend sonnig.

„Elvira“ und „Friederike“ ziehen aber von Polen her über Mitteleuropa hinweg nach Frankreich, von Ost nach West. In Tiefdruckgebieten strömt die Luft entgegen dem Uhrzeigersinn um das Zentrum. So gelangt zunächst kühle und feuchte Luft aus Nordmeer und Ostsee, später Nordsee nach Mitteleuropa; gefolgt von warmer Luft aus Südwest. Dabei ist die Luftdruckdifferenz und damit die Windgeschwindigkeit sehr gering; Wolken werden nicht weggeblasen, sondern verharren ortstabil. Infolgedessen konzentrieren sich die Niederschläge aus Gewittern und Regenfronten kleinräumig. So die Stationen Neustadt am Kocher und Gundelsheim am Neckar (beide Baden-Württemberg) 123,8 und. 122,1 Liter in 24 Stunden (!). Aus der Region um Bautzen (Sachsen) wurde von einer Hagelschicht (Korngröße 3cm Durchmesser) bis zu einem halben Meter berichtet. In Meißen bei Minden (Nordrhein-Westfalen) kam es in einer rotierenden Gewitterwolke (Superzelle) zu Fallböen mit Windgeschwindigkeiten von über 150 km/h, die Häuser zerstörten.

Die Großwetterlage „Tief Mitteleuropa“ (TM) ist derzeit sehr beständig. Die ununterbrochene Unwetterlage verursachte eine Tiefdruckrinne, deren Kern den Namen „Elvira II“ erhielt. So wurde die Lücke zwischen „Elvira“ und Friederike“ geschlossen; eine generelle Wetterberuhigung blieb aus. Die Konfrontation zwischen feuchtkühlen und schwülwarmen Luftmassen verlagerte sich vom Südwesten Deutschlands zunächst nach Niederbayern und in den Westen Österreichs, anschließend ostwärts und in einer neuen Welle ins Rheinland.

Wo genau sich Regenschauer und Gewitter ergießen lässt sich leider nicht zuverlässig prognostizieren. Bestenfalls kann die Gewitter-Wahrscheinlichkeit für einen Ort angegeben werden: 80% können durchaus bedeuten, dass trotz spürbarer Schwüle kein Tropfen vom Himmel fällt - und 20% garantieren keine Regenpause.

Gerade bei geringer Windgeschwindigkeit ist die Prognose besonders schwierig. Stete Luftbewegung erleichtert die Berechnung der Luftmassendurchmischung. Ohne Wind steigt die Bedeutung zufälliger Ereignisse in der Atmosphäre sowie der Einfluss des Bodenreliefs (auch Bodenfeuchte und Fähigkeit zur Wärmespeicherung). Das sind oft kleinräumige Effekte, die auch von den leistungsstarken Computern der Wetterdienste nicht hinreichend genau berücksichtigt werden können. Zufall lässt sich ohnehin nicht vorhersagen.

So lässt sich für einen bestimmten Ort nicht sagen, dass sich genau dort ein Gewitter oder gar Unwetter entladen wird - oder als alternative Formulierung: Es wird sich sicherlich ein Gewitter, ein Unwetter entwickeln, aber man kann nicht sagen wo genau. Meteorologen bemühen gern das Beispiel eines Wasserkochers. Wer so ein Gerät füllt und anschaltet kann vorhersagen, dass alsbald Wasserdampfblasen vom Grund aufsteigen. Doch an welchem Punkt der Grundfläche sich die erste Blase bildet lässt sich nicht prognostizieren.

Unwettergewitter sind kleinräumige Ereignisse, die einen Ort oder mehrere Orte entlang eines Fließgewässers verwüsten können; nah benachbarte Landschaften aber vollkommen verschonen.

Quellen:

Dipl.-Met. Marcus Beyer: Gewitterpotential - Oder warum keine ortsgenaue Prognose möglich ist. Thema des Tages, Newsletter des Deutschen Wetterdienstes (DWD) vom 27.05.2016

MSc.-Met. Sebastian Schappert: Eine aufregende Gewitterwoche. Thema des Tages, Newsletter des Deutschen Wetterdienstes (DWD) vom 29.05.2016

Dipl.-Met. Martin Jonas: Unwetternachlese. Thema des Tages, Newsletter des Deutschen Wetterdienstes (DWD) vom 30.05.2016

Dipl.-Met. Simon Trippler: Gewitter ohne Ende. Thema des Tages, Newsletter des Deutschen Wetterdienstes (DWD) vom 01.06.2016

Erstellt am 2. Juni 2016
Zuletzt aktualisiert am 2. Juni 2016

Unterstützen Sie Menschenswetter!

Die Höhe des Beitrags liegt in Ihrem Ermessen.

Weitere Informationen...

 3 Euro    5 Euro    12 Euro  
 Betrag selbst festlegen  

Gesundheitsrisiko Temperatursturz im April

Nach einer rekordverdächtigen Warmwetterphase von Februar bis Mitte April, ist jetzt das kühle wechselhafte April-Wetter mit Wind, Regen und vereinzelt auch Schneefall zurück. Der Temperatursturz um 15 bis 20°C ist an sich schon ein Gesundheitsrisiko, doch die physiologische und psychologischen Herausforderungen sind diesmal besonders drastisch. weiterlesen...


Schon wenig Rotwein kann massive Kopfschmerzen auslösen

Reichlich Rotwein am Abend kann morgens Kopfschmerz provozieren. Manchen Menschen leiden jedoch schon nach einem kleinen Glas oder gar einem Probierschluck Rotwein und rasch anflutenden Kopfschmerzen - nicht erst nach Stunden im alkoholvertieftem Komaschlaf, sondern unmittelbar anschließend bei hellwachem Bewusstsein. weiterlesen...


Impfsaison 2023/2024 für Menschen mit Atemwegserkrankungen

Robert-Koch-Institut (RKI) und Ständige Impfkommission (STIKO) empfehlen Menschen mit Asthma und COPD frühzeitige Impfung gegen Grippe (Influenza) und neue Corona-Varianten sowie eine Überprüfung des Pneumokokken-Schutzes zur Vorbeugung einer Lungenentzündung. Gerade in der jetzt beginnenden kalten Jahreszeit steigt neben Infektionen der oberen und unteren Atemwege auch das Risiko für spürbare Verschlechterung der Symptomatik von vorbestehenden Lungenerkrankungen. weiterlesen...


Künstliche Intelligenz (KI) unterstützt Ärzte bei der Diagnose

Das Konzept der KI (im Englischen treffender als Artificial Intelligence bezeichnet) ist in der aktuell populären Version auf die Komposition von Texten optimiert. In der medizinische Diagnostik werden andere Qualitäten gefordert. Doch schon heute liefern solche Anwendungen erstaunlich kompetente Unterstützung. weiterlesen...


Wetterwechsel provoziert Migräneattacken

Befragt man Menschen, die unter Migräne leiden, werden zuverlässig bestimmte Wetterlagen oder  eine besonders dynamische Veränderung des Wetters als Auslöser von Schmerzattacken genannt. Deshalb wurde dieser besondere Umwelt-Trigger schon vielfach untersucht. Neue Studien zeigen, dass es nicht die Wetterlage ist, die Schmerzattacken auslöst. weiterlesen...


Auf Rosen gebettet lernt es sich leichter

Gerüche können Kreativität und Lernerfolg verbessern. Freiburger Forscher haben nun untersucht, was genau der betörende Rosenduft bewirkt und in welcher Dosis er das Lernen erleichtert. weiterlesen...