Wetter kann durch den vaskulären Effekt rasante Blutdruckänderung provozieren

Demenz durch Blutdruckschwankungen

von Holger Westermann

Gestern noch Bluthochdruck gemessen, heute antriebslos und körperlich schwach bei sehr niedrigen Blutdruckwerten (systolisch/diastolisch). Von Tag zu Tag stark schwankender Blutdruck beeinträchtigt auch die kognitive Leistungsfähigkeit. Das Risiko an Demenz zu erkranken steigt, wenn ältere Menschen über instabilen Blutdruck klagen.

Schon länger ist bekannt, dass Menschen, die „in den besten Jahren“ unter Hypertonie leiden, mit einem erhöhten Risiko für Altersdemenz leben. Gedächtnisprobleme und andere kognitive Störungen werden auf mechanische Schäden der Blutgefäße zurückgeführt, die durch den anhaltend erhöhten Blutdruck verursacht werden. So zeigte eine 2012 veröffentlichte Studie, dass die Gehirne von 40-Jährigen mit erhöhten Blutdruck (140/90 mmHg) um mehr als 7 Jahre „älter“ sind, als die von Menschen ohne Hypertonie (120/80). Sowohl die weiße Substanz der Gehirne (vornehmlich Leitungsbahnen, Axone) als auch die graue Substanz (vornehmlich Zellkörper der Nervenzellen) waren messbar reduziert.

Auf der anderen Seite kann bei Hochbetagten ein zu niedriger Blutdruck problematisch sein. Forscher der niederländischen Universität Leiden veröffentlichten 2014 eine Studie, die an 600 Personen über 85 Jahre den Zusammenhang zwischen Blutdruck und Demenzrisiko (fortschreitender Verfall der kognitiven Leistungsfähigkeit) untersuchte. Es zeigte sich dass in diesem hohen Alter ein sehr niedriger Blutdruck (Hypotonie) und ein schwaches Herz (Herzinsuffizienz) den geistigen Verfall beschleunigen. „Die Kombination führt zu den schlechtesten kognitiven Fähigkeiten und dem schnellsten Verfall“, so die Wissenschaftler in ihrem Fazit. Durch eine Herzinsuffizienz ist das Herz zu schwach einen hinreichend kräftigen Blutdruck aufzubauen um den Körper ausreichend mit Energieträgern und Sauerstoff zu versorgen – auch das Gehirn nicht. Die geistige Frische welkt. Bei Hochbetagten scheint dagegen Bluthochdruck förderlich für die mentale Fitness.

Nun zeigt sich, dass bei älteren Menschen mit stark schwankenden Blutdruckwerten die kognitive Hirnfunktionen besonders schnell nachlassen. Nicht die Extremwerte, ob Hypertonie (Hochdruck) oder Hypotonie (zu geringer Druck), sind relevant, sondern die rasanten Wechsel. Das ist das Ergebnis einer Studie an 976 Personen im Alter zwischen 55 und 64 Jahren. Ausgewertet wurden die Daten einer chinesischen Langzeitstudie, wobei die Probanden zu Beginn älter als 54 Jahre waren und einen normalen Blutdruck aufwiesen (durchschnittlich 130/81). Über die folgenden fünf Jahre wurde regelmäßig der Blutdruck und mit einfachen Tests die Entwicklung der kognitive Leistungsfähigkeit dokumentiert.

Die während des Untersuchungszeitraums über allen Messungen gemittelten Werte für den systolischen und diastolischen Blutdruck einer Person zeigten keinen auffälligen Zusammenhang mit dem Nachlassen kognitiver Hirnleistungen. Menschen mit Tendenz zur Hypertonie unterschieden sich nicht von denen mit durchschnittlich normalem Blutdruck. Jedoch konnte bei Probanden mit unterschiedlich hohen Blutdruckwerten (große Varianz aufwiesen) ein rapider Verfall de rHirnfunktion festgestellt werden. Dabei erwies sich der Messwerte für den systolischen Blutdruck als relevante Größe; der diastolische Blutdruck war nur für die älteren Versuchsteilnehmer (älter als 65 Jahre) bedeutsam. Konkurrierende Einflussfaktoren wie Alter, Bildungsstand, Tabakkonsum, körperliche Aktivität und frühere Erkrankungen wurde in der statistischen Analyse herausgerechnet.

„Schwankender Blutdruck könnte ein Zeichen für einen instabilen Blutkreislauf sein, der möglicherweise die feinen Blutgefäße des Körpers schädigt und dadurch auch die Hirnfunktion beeinträchtigt“, erklären die Wissenschaftler der University of North Carolina (USA) in Chapel Hill. In ihrem Fazit plädieren die Forscher dafür zur Demenz-Prophylaxe für einen stabilen Blutdruck zu sorgen, anstatt nur blutdrucksenkende Medikamente einzusetzen.

Für wetterempfindliche Menschen ist dies eine alarmierende Nachricht. Wer besonders sensibel auf Wechsel der gefühlten Temperatur reagiert, erlebt bei Wärme (insbesondere Schwüle) einen rasanten Blutdruckabfall und bei Kälte einen dynamischen Blutdruckanstieg. Mediziner sprechen vom vaskulären Effekt. In warmer Umgebung weiten sich die Adern (Dilatation), damit mehr Körperwärme über die Haut abgeführt werden kann. In kalter Umgebung ziehen sich die Adern zusammen (Korntraktion), um den Verlust von Körperwärme zu reduzieren. Der Blutdruck folgt der Temperaturentwicklung in umgekehrter Richtung (reziprok): Steigt die gefühlte Temperatur fällt der Blutdruck; fällt die Temperatur steigt der Blutdruck.

Die gefühlte Temperatur ist relevant, da Menschen den Thermometerwert gar nicht spüren können. Das Temperaturempfinden fokussiert auf den Verlust von Körperwärme oder den kritischen Wärmestau, wenn durch die Aktivität von Muskulatur und Organen (insbesondere der Leber) die Körpertemperatur ansteigt. Das Blut transportiert die Wärme aus dem Körperzentrum an die Haut, wo sie an die Umgebung abstrahlt. Die Regulation der Blutzirkulation ist effektive Wärmeregulation, die damit verbundene Veränderung des Blutdrucks eine natürliche Nebenwirkung. Eine dynamische Wetterentwicklung ist ein guter - im Sinne von anschaulicher und nachvollziehbarer - Beleg dafür.

Gerade ältere Patienten, deren Blutdruck mit Medikamenten reguliert wird, sollten ihren Arzt über extreme, möglicherweise wetterbedingte, Blutdruckschwankungen informieren. Sie riskieren einen unnötig raschen und nachhaltigen Verlust der geistigen Leistungsfähigkeit.

Quellen:

Maillard, P. et al. (2102): Effects of systolic blood pressure on white-matter integrity in young adults in the Framingham Heart Study: a cross-sectional study. The Lancet Neurology 11 (12): 1039–1047. DOI: 10.1016/S1474-4422(12)70241-7.

van Vliet, P. et al.(2014): NT-proBNP, blood pressure, and cognitive decline in the oldest old  – The Leiden 85-plus Study. Neurology 83 (13): 1192-1199, online veröffentlicht am 20.08. 2014, doi: 10.1212/WNL.0000000000000820.

Qin, B. et al. (2016): Visit-to-Visit Variability in Blood Pressure Is Related to Late-Life Cognitive Decline. Hypertension, online veröffentlicht am 23.05.2016. DOI: 10.1161/HYPERTENSIONAHA.116.07494

Erstellt am 3. Juni 2016
Zuletzt aktualisiert am 3. Juni 2016

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