Wetter

Trog Westeuropa schwappt über

von Holger Westermann

Großwetterlagen sind für die Jahreszeit typische Wettersituationen von merklicher Stabilität. Durch großräumige Verteilung von Hoch- und Tiefdruckgebieten und die daraus resultierenden Strömungsmuster halten sie einige Tage oder gar Wochen an. So tummeln sich derzeit eine Vielzahl kleiner Tiefs über Mitteleuropa, führen feuchte Luft heran und fluten die Landschaft.

Welche Großwetterlage sich einstellt, wird letztendlich durch die allgemeine Süd-Nord-Zirkulation der Atmosphäre bestimmt, die atmosphärische Höhenströmung in der mittleren Troposphäre (untere Wetter-Atmosphäreschicht). Über dem Äquatorregion erhitzt die nahezu senkrecht auftreffende Sonnenstrahlung den Boden und das Meer maximal. Damit erwärmt sich auch die darüber liegende Luft, Warmluft ist leichter als kühlere und steigt auf. Am Boden entsteht Unterdruck, Barometer messen ein Tiefdruckgebiet, das äquatoriale Tief. Die Warmluft steigt bis zur Tropopause und strömt dann in etwa 18.000m Höhe polwärts. Etwa auf 30° nördlicher Breite sinkt die Luft ab und erzeugt am Boden ein Hochdruckgebiet. So entsteht eine stabile Süd-Nord-Zirkulation in der „Hardley-Zelle“: aufsteigen am Äquator, Nordwärtsbewegung in großer Höhe, absinken auf 30°, bodennaher Rückfluss zum Äquator. Das Hochdruckgebiet auf 30° Nord schiebt seine Luftmassen aber nicht nur gen Süden sondern auch in Richtung Nordpol. Diese vergleichsweise warme Luft gleitet dann auf die eiskalte Polarluft (die eine kleine Polarzellen-Zirkulation ausbildet) auf und wird damit bis zur Tropopause angehoben. In Polnähe liegt diese Grenzschicht zur Stratosphäre deutlich niedriger als am Äquator (8.000 anstatt 18.000m). Hierzulande wetterbestimmend ist diese zweite subtropisch-polare-Zirkulation in der „Ferrel-Zelle“: durch den Absinkprozess am 30° Breitengrad (adiabatisch) erwärmte trockene Luft fließt bodennah polwärts und nimmt Feuchtigkeit auf, gleitet bei 60° nördlicher breite auf die polare Kaltluftzirkulation auf und regnet dabei ab, strömt entlang der an Höhe gewinnenden Tropopause Richtung Äquator und sinkt am 30° Breitengrad wieder ab.

Durch die Erddrehung kommt Dynamik in diese an sich stabile Zirkulation. Die Corioliskraft lenkt die Zirkulation ostwärts ab. Die Schrägstellung der Erdachse um 23.5° verschiebt mit den Jahreszeiten die Region maximaler Sonneneinstrahlung um den Äquator und damit die Position und Ausdehnung dieser Zirkulationsströmungen. Sie liegen im Sommer weiter nördlich als im Winter. Die auf der Nordhalbkugel mächtigen und stark profilierten Landmassen (die auch noch sehr unterschiedlich Wärme an die Luft abgeben) verzerren die Strömung in der Troposphäre zusätzlich.

Das Wetter selbst wird zudem durch die Eigenschaften der in das jeweilige Zirkulationsregime einbezogenen Luftmassen bestimmt. So kann das Wetter durchaus wechseln während die Großwertterlage stabil bleibt. Zieht ein mächtiges Tiefdruckgebiet (Luftströmung entgegen dem Uhrzeigersinn um das Zentrum) vom Atlantik über Mitteleuropa hinweg, so spüren die Menschen zunächst den Einfluss der Warmfront. Mit einer kräftigen Südwestströmung wird warme Luft aus dem Mittelmeerraum herangeführt. Erst danach folgt nach dem Regen die Kaltfront mit kühler Luft aus dem Nordatlantik. Für Meteorologen ist das ein und die selbe Wetterlage.

Die derzeit vorherrschende Wetterlage nennt sich „Trog Westeuropa" (TrW). Sie gehört zu den meridionalen Zirkulationsformen, mit einer stark mäandrierenden (schlängelnden) Höhenströmung: sie verläuft über dem Ostatlantik in Nord-Süd-Richtung, wendet sich über der Iberischen Halbinsel zunächst nordostwärts und schließlich über Mitteleuropa nordwärts. Somit befindet sich über Westeuropa ein ausgedehntes Gebiet mit niedrigem Luftdruck, eine langgestrecktes Tiefdruckzone; Meteorologen sprechen von einem „langwelligen Trog".

In der hoch reichenden Kaltluft nimmt der Luftdruck mit zunehmender Höhe sehr schnell ab, schneller als in vergleichbarer Höhe bei warmer Luft. So ist ein Höhentrog durch tiefen Luftdruck in der mittleren und höheren Atmosphäre charakterisiert. Dieser Unterdruck saugt Luft aus tieferen Atmosphärenschichten, wodurch auch am Boden ein lokales Tiefdruckgebiet entsteht. So steuert die atmosphärische Höhenströmung die Entstehung und Verlagerung der Hoch- und Tiefdruckgebiete.

Durch eine Lee-Zyklogenese (Entstehung eines Tiefs an der windabgewandten Seite, im Windschatten eines Gebirges) hat sich im nördlichen Alpenvorland bereits ein flaches Tiefdruckgebiet gebildet. Es verstärkt sich unter Einfluss des westeuropäischen Troges und zieht an der Trogvorderseite über Tschechien und Polen hinweg ins Baltikum. Infolgedessen regnet es ausgiebig zunächst im Alpenraum, dann in den östlichen Mittelgebirgen und später nordöstlich der Elbe. Weitere Unwetter mit schauerartig verstärktem Dauerregen und Gewittern sind möglich. Das aktuelle Wetter ist hochdynamisch aber als Großwetterlage weiterhin stabil - leider.

Quellen:

Dipl.-Met. Thomas Ruppert: Trog Westeuropa. Thema des Tages, Newsletter des Deutschen Wetterdienstes (DWD) vom 16.06.2016

Erstellt am 16. Juni 2016
Zuletzt aktualisiert am 16. Juni 2016

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