Wetter

Wie Wind Gewitter gestaltet

von Holger Westermann

Diffuses Flackern in hoch aufragenden Wolken oder bizarr geformte Blitze die als aufgespaltene Leuchtlinie zu Boden streben, gefolgt von polterndem Grummeln oder schepperndem Donner kennzeichnen Gewitter. Doch neben diesen „Leitsymptomen“ sind „Begleitsymptome“ typisch: Starkregen und Hagel; Sturm, Fallböen und Tornados. Die aktuellen Windverhältnisse bestimmen, aus welchen Zutaten sich das Wetter komponiert.

Meteorologen sprechen tatsächlich von der „ Zutatenmethode“, wenn sie anhand der Atmosphäre-Parameter die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten und die Intensität der Gewitter abschätzen. Die wichtigsten Zutaten sind:

  • Hohe Luftfeuchte der unteren und mittleren Troposphäre. Nur in feuchter Luft kondensieren feine Wassertröpfen, die sich zu Wolken formieren aus denen letztendlich Niederschlag fällt - als Regen oder als Hagel.
  • Stabiler Temperaturgradient, mit ansteigender Höhe wird es sukzessive kälter. So umgibt die aufsteigenden Warmluftblasen stets kühlere Umgebungsluft. Da warme Luft eine geringere Dichte aufweist (leichter ist) als kalte, setzt sich die Aufwärtsbewegung fort.
  • Unterstützender Hebungsmechanismus, eine Kaltfront schiebt sich unter die feuchtwarme Luft am Boden oder ein Gebirge zwingt ziehende Luftmassen zum Aufstieg, transportiert Warmluft in höhere Regionen der Troposphäre.

Wie spektakulär sich die Gewitter entwickeln wird wesentlich durch den Wind bestimmt, durch die „Windscherung“. Parallel zur Temperaturschichtung gibt es auch eine typische Veränderung der Windgeschwindigkeit, sie nimmt mit ansteigender Höhe zu. Ohne Reibung an Bodenwellen, Bewuchs und Gebäuden kann sich die Strömung ungehindert über die Landschaft ausbreiten. Auf dem Gipfel weht es stets dynamischer als im Tal, bei auflandigem Wind am Strand stets stärker als in Wäldern oder Städten (es sei denn Düseneffekte, bei dem sich Luftmassen durch Engstellen zwängen, beschleunigen). Und Ballonfahrer wissen, dass dieses Phänomen auch ohne Bodenhaftung fortbesteht; mit zunehmender Entfernung vom Untergrund vergrößert sich die Reisegeschwindigkeit.

So bezeichnen Meteorologen die Zunahme der Windgeschwindigkeit mit der Höhe als „Geschwindigkeitsscherung“ (im Gegensatz zur „Richtungsscherung“, bei der mit der Höhe die Windrichtung wechselt). Da Gewitterwolken bis zur Tropopause (auf 15.000 m, obere Grenze der Troposphäre, der bodennahen Atmosphäreschicht in der sich das Wetter entwickelt) hinauf reichen, wirkt sich die Geschwindigkeitsscherung besonders stark aus. Andere Wolken, mit geringerer vertikaler Ausdehnung, driften mit einheitlicher Geschwindigkeit. Gewitterwolken werden am oberen Rand von stürmischem Wind horizontal verzerrt, während am Unteren Rand nur wenig waagrechter Wind weht, dort überwiegt die aufstrebende Luftbewegung (Aufstieg der Warmluftblase) in die Gewitterwolke hinein.

Den Niederschlag, der in den oberen Regionen der Gewitterwolke ausfällt (durch Zusammenballen resp. Verschmelzen einzelner Tröpfchen oder Eiskristalle bis sie für die Aufwinde zu schwer werden), verfrachtet die sehr kräftige horizontale Höhenströmung in Windrichtung. Dadurch wird der Aufwind, wo warme und feuchte Luft in das Gewitter gesogen wird, vom Abwind, wo durch den Regen gekühlte Luft ausströmt, getrennt. Je ausgeprägter und länger Warmluftaufstieg und kühlendem Niederschlag auf diese Weise voneinander getrennt werden, desto stabiler ist das Gewitter.

Bleibt die vertikale Geschwindigkeitsdifferenz der Windscherung klein, ziehen die Gewitter sehr langsam und haben nur eine kurze Lebenszeit. Kaum ist so ein Gewitter entstanden, kühlt herabstürzende Kaltluft im Abwind oder gar Niederschlag (Verdunstungskälte) das am Boden liegende Warmluftpolster so weit herunter, dass der Nachschub an feuchter und warmer Luft zusammenbricht. Solche Gewitter-Einzelzellen sind typisch für den Hochsommer. Sie toben nur kurz und verschwinden alsbald wieder.

Bei großer Geschwindigkeitsscherung trennen sich Auf- und Abwinde in zwei vertikale Strömungskanäle. Die Aufwärtsströmung kann aus bodennahen Schichten unablässig feuchtwarme Luft ansaugen, ohne dass diese durch herabstürzenden Niederschlag oder Kaltluft herunter gekühlt wird. Dadurch bleibt der Luftmassentransport bis hinauf zur Tropopause stabil - und bietet damit dauerhaft den optimale Angriffspunkt für die besonders schnelle Luftströmung in größtmöglicher Höhe. Niederschlag wird im oberen Bereich der Wolke in Windrichtung weggetragen. Fallen Eiskristalle herunter, werden sie erst im unteren Teil der Wolke wieder von der Aufwärtsströmung erfasst und empor geschleudert. Hagel kann so in mehreren Auf-Ab-Zyklen zu beträchtlicher Größe anwachsen, indem immer neue Wassertröpfchen oder feine Eiskristalle daran festfrieren. Je größer die Hagelkörner sind, um so weniger weit werden sie von den Aufwinden in der Wolke wieder hinauf getragen, um so weniger heftiger Scherwind kann sie erfassen, um so weniger weit (oder wahrscheinlich) werden sie in Windrichtung davon getragen. Große Hagelkörner bleiben im zentralen Bereich der Gewitterwolke.

So sind die ersten Regentropfen eines Gewitterschauers kleiner als die nachfolgenden. In vorderster Linie fallen die kleinen Tropfen, die der Scherwind so weit verblies, dass der Aufwärtsstrom sie nicht mehr erfasste, dass sie nicht wieder empor geschleudert wurden und somit klein blieben. Erst danach kommen dicke Tropfen (geschmolzener Hagel) oder Hagelkörner, die schon einige Auf-Ab-Wachstums-Zyklen durchlaufen haben.

Sind für einen heißen Sommertag Gewitter angekündigt, lohnt ein frühzeitiger Blick auf die Schäfchen- oder Haufenwolken (Cumulus) am Himmel. Sind sie stark in Windrichtung geneigt, zeigt das eine starke Windscherung an. Es muss dann mit heftigen Gewittern gerechnet werden, mit Fallböen und kräftigen Niederschlägen, eventuell als Hagel. Bleiben die Wolken rund ist die Intensität der Gewitter und vor allem ihre Stabilität (Lebensdauer) sehr viel geringer. Aufgrund der geringen Zuggeschwindigkeit der Gewitterzelle ergießt sich aber der gesamte Wolkeninhalt auf ein sehr kleines Areal. Die betroffene Region erlebt Starkregen, benachbarte Landschaften bleiben dagegen staubtrocken.

So moduliert der Wind, die vertikalen Unterschiede der Windgeschwindigkeit, die Geschwindigkeitsscherung den Charakter der Sommergewitter. Nun muss es nur noch Sommer werden - Gewitter mit Starkregen und Hagel erlebte Mitteleuropa heuer (in diesem Jahr) schon reichlich.

Quellen:

Dipl.-Met. Helge Tuschy: Wenn der Wind ein Gewitter formt. Thema des Tages, Newsletter des Deutschen Wetterdienstes (DWD) vom 25.06.2016

Westermann, H. (2016): Wechselnde Windrichtung durch Gewitter-Konvergenz. Menschenswetter Artikel 1392 online veröffentlicht am 07.06. 2016.

Erstellt am 27. Juni 2016
Zuletzt aktualisiert am 27. Juni 2016

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