Wetter

Nordsee zieht Gewitterlinien

von Holger Westermann

Blitzen am freien Horizont und polternder Donner über der glatten Wattfläche. Obwohl am Strand kein Gebirge die heranströmende Luftmassen zum Aufstieg in höhere Atmosphäreschichten zwingt, entwickeln sich auch entlang der Küstenlinie hoch aufragende Gewitterwolken. Spezielle Effekte im lokalen Windfeld ziehen Gewitterlinien entlang der deutsche Nordseeküste - und garantieren zuverlässig Sonnenschein.

Diese Linien sind nahezu ortsfest: von den Ostfriesischen Inseln (Niederlande und Niedersachsen) zum Seegebiet um Helgoland in Richtung Pellworm und St. Peter-Ording (Nordfriesland in Schleswig-Holstein). Lässt die Wetteraktivität nach, können die Schauerstraßen bis zur Flensburger Förde an der Ostsee ziehen. Damit sich genau hier Gewitterwolken entwickeln, muss die Luft ausreichend Feuchte speichern, labil geschichtet sein (rasche Temperaturabnahme mit ansteigender Höhe) und angehoben werden. In der unmittelbaren geographischen Nachbarschaft sollten diese Faktoren deutlich geringer ausgeprägt sein. Nur dann ist zu erwarten, dass sich die typischen Linien an immer der selben Stelle bilden

Dank der Wasserunterlage Nordsee ist eine hinreichend hohe Luftfeuchte bodennaher Schichten sowie der unteren und mittleren Troposphäre (bis 5.000m Höhe) garantiert. Die feuchte Seeluft ist sprichwörtlich.

Die Schichtung der Atmosphäre ist labil, wenn sich die Luft mit der Höhe rasch abkühlt. Erwärmt sich bodennahe Luft durch den Kontakt mit aufgeheiztem Untergrund, steigt die Warmluftblase in kühler Umgebungsluft auf. Je größer der Temperaturunterschied ist, desto rascher erfolgt die Aufwärtsbewegung. Denn warme Luft hat eine geringere Dichte als kalte; sie ist pro m3 leichter (Archimedisches Prinzip). An der flachen Nordseeküste (geringe Wassertiefe oder Watt) entsteht dieser steile Temperaturgradient durch die verhältnismäßig warme Wasseroberfläche.

Das Wasser der Nordsee hat sich bis Sonnenwende (21.06.) bereits auf 16 und 19°C erwärmt, gleichzeitig herrschen in rund 5.500m Höhe rund -25°C; ein Unterschied von mehr als 40°C. Diese Temperaturdifferenz auf rund 5.000m gilt nach einer Faustformel der Meteorologen als ausreichend labilen Schichtung, dass sich Gewitterwolken bilden können.

Deshalb häufen sich die Seegewitter an der Nordseeküste, sobald mit den ersten Kaltluftvorstößen im Herbst die Höhenluft noch weiter abkühlt. Das Wasser der Nordsee (auch der Ostsee) speichert die Wärme des Sommers länger als der Erdboden an der Küste. So baut sich über dem Meer ein steilerer Wärmegradient auf als über Land; die Gewitter konzentrieren sich entlang der Küste und erreichen im Herbst ihre maximale Intensität.

Doch wie entstehen Gewitterwolken über freien Wasserflächen und Stränden? Ohne nennenswerte Erhebungen in der Landschaft fehlt der markante Auslöser und die nachhaltige Unterstützung für das Aufsteigen feuchtwarmer Luftmassen. Erst unter geringeren Außendruck, dehnt sich die Luft aus und kühlt ab, der Wasserdampf kondensiert zu kleinen Tröpfchen, es bilden sich Wolken. Je dynamischer die Warmluft aufsteigt um so höher reichen die Wolken in die Troposphäre hinauf. Bei Gewitterwolken bis zur Tropopause in 10.000m Höhe.

An der Küste, in einer Landschaft ohne Berge, wird dieser Hebungsprozess nicht durch das Aufsteigen an orographischen Hindernissen initiiert, sondern durch ein bodennahes Windfeld. Auflandiger Wind (weht von See in Richtung Küste) wird abrupt gebremst, wenn er auf den Strand trifft. Dabei ändert sich die Windrichtung; der Westwind dreht über Helgoland auf südsüdwest und weht nun wieder parallel zur Nordfriesischen Küste. So entsteht im Bereich bis zur Elbemündung einen Bereich zusammenströmender Luftbewegungen, die Küstenkonvergenz. Wenn Luftmassen aus mehreren Richtungen zusammentreffen bleibt nur ein Ausweg: nach oben. Entlang dieser Konvergenzzone sinkt der Luftdruck, es entsteht ein langgestrecktes lokales Bodentief, darüber formieren sich die Wolken der Regen- und Gewitterlinie.

Tagsüber lösen sich Wolken zumeist rasch wieder auf. Denn sobald Sonnenstrahlung auch Strand und Küstenlandschaft erwärmt, schwindet die Differenz zwischen den vertikalen Temperaturgradienten über See und Land. Zur Mittagszeit sind die bodennahen Luftpakete landeinwärts wärmer (höhere Labilität) und steigen daher nun über dem Binnenland auf. Die lokalen Tiefdruckgebiete mit aufsteigender Luft liegen nun landeinwärts, es entwickelt sich tagsüber ein auflandiger Seewind (trifft senkrecht von See auf die Küste; im Gegensatz zur küstenparallelen Konvergenz). Dadurch verschwindet die Konvergenz im Windfeld und somit auch die Hebung der feuchtwarmen Luftmassen, der Wasserdampf-Nachschub für die Wolkenbildung versiegt.

Dieser Effekt garantiert, dass entlang der Nordseeküste im Sommer jeden Tag ein wenig Sonnenschein hervorlugt. Auch wenn vormittags Wolken den Himmel bedecken und Gewitter drohen, gelingt es der Sonnenstrahlung zumeist am frühen Nachmittag die bodennahe Luft im Binnenland so stark zu erwärmen, dass die Verlagerung der lokalen Tiefdruckzone Lücken in die Wolkendecke reißt.

So zählen die Küstengebiete zu den sonnenscheinreichsten Regionen Deutschlands, auch wenn Sturmböen und Regen zum typischen Nordseesommer gehören. Dafür quälen nur selten Hitzewellen mit drückender Schwüle. Der tägliche Wechsel von Land- und Seewind, ergänzt durch Konvergenzeffekte garantiert erträgliche Sommertage - auch für wetterempfindliche Menschen.

Quellen:

Dipl.-Met. Robert Hausen: Gewitterlinien an der Nordsee. Thema des Tages, Newsletter des Deutschen Wetterdienstes (DWD) vom 04.07.2016

Erstellt am 7. Juli 2016
Zuletzt aktualisiert am 7. Juli 2016

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