Wetter

Gefühlte Kälte

von Holger Westermann

Hierzulande etabliert sich wieder Hochdruckwetter; Schneefall, Regen und Wind weichen Sonnenschein, Nebel und Flaute. Dabei sinkt der Thermometerwert deutlich, wobei der Temperaturrückgang gar nicht so drastisch empfunden wird. Viele Menschen frösteln bei feuchtkaltem Wetter eher als bei trocken-kalter Luft.

Das Atlantiktief „Hubert“ brachte reichlich Regen und und Schnee nach Mitteleuropa. In Österreich wurde sogar von Schneechaos gesprochen - obwohl die Menschen dort nicht wie die Rheinländer oder Berliner bereits bei 5 cm Neuschnee den Weltuntergang beschwören. Im Schwarzwald und im Allgäu sorgte dagegen das Zusammentreffen von Tauwetter und örtlich über 50 Liter Regen pro Quadratmeter in wenigen Tagen für einen kräftigen Rückgang der Schneehöhe bis in den Gipfellagen. Di eMeteorologen sprechen von einer „winkelförmigen Westlage“ (wissenschaftliche Abkürzung Ww). Das bedeutet, dass von Westen heranziehende Atlantktiefs durch ein mächtiges Festlandhoch über Russland oder dem Balkan nordwärts abgelenkt werden, nachdem sie West- und Mitteleuropa weitgehend überquert haben. Die derzeitige „winkelförmige Westlage" ist weit nach Süden verschoben und folgt einer Linie von Madrid nach Istanbul. Das blockierende Hoch erstreckt sich von Finnland nach Mittel- und Südrussland. Die westliche Höhenströmung wurde dadurch über Ostmitteleuropa nach Norden gelenkt. Über dem 13 bis 15°C warmen Wasser konnte die Luft reichlich Feuchtigkeit aufnehmen und nordwärts transportieren. Beim Weg über die Alpen und beim Kontakt mit bodennaher Kaltluft kondensierte der Wasserdampf; in Österreich fiel reichlich Schnee.

Derzeit etabliert sich über Skandinavien das Hoch „Erika“ (Luftströmung im Uhrzeigersinn um das Zentrum) und über dem zentralen Mittelmeer zieht das Tief „Marcel“ heran (Luftströmung entgegen dem Uhrzeigersinn).Dadurch gelangt Mitteleuropa in den Einflussbereich einer östlichen Luftströmung, die eiskalte und sehr trockene Festlandsluft mit sich bringt. In Mittel- und Nordrussland, Quellgebiet der Luftmassen, werden derzeit -15 °C und -30 °C gemessen.

Die Menschen in Mitteleuropa erleben einen markanten Wetterwechsel, von feuchtkühl zu trockenkalt. Der Thermometerwert beschreibt die Bedeutung derart dynamischer Umweltveränderungen nur unzureichend. Temperatur kann sich sehr unterschiedlich anfühlen. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) hat dazu das Modell des „Klima-Michel“ entwickelt, um den Einfluss der Lufteigenschaften (Temperatur, Feuchte, Geschwindigkeit = Wind) sowie der Sonnenstrahlung (Strahlungswärme, Reflexionsstrahlung) auf den menschlichen Körper darzustellen. Der „Klima-Michel“ repräsentiert einen 35 Jahre alten Mann mit 1,75 m Körperhöhe und einem Gewicht von 75 kg in aufrechter Haltung ohne Bewegung.

Für das Wärmeempfinden relevant ist jedoch nicht die Lufttemperatur, denn Menschen können keine absolute Temperatur fühlen. Die Wärmerezeptoren in der Haut messen lediglich den Verlust von Körperwärme. Vor dem Hintergrund, dass für eine optimal funktionierende Physiologie eine konstante Körperkerntemperatur von 36,5°C aufrecht erhalten soll, ist das ein sinnvolles Verfahren.

Bei Hitze droht ein Wärmestau, da überschüssige Stoffwechselwärme nur schwer abgeleitet werden kann. Deshalb weiten sich in warmer Umgebung die Adern, um eine optimale Wärmeableitung zu gewährleisten. Schwitzen unterstützt den Effekt, denn das verdunstende Wasser reduziert die Temperatur der Hautoberfläche. In schwüler Hitze gelingt der Wärmeabtransport nicht mehr, denn hohe Luftfeuchte verhindert die Wasserverdunstung auf der Haut. Die Luft ist schon mit Wasserdampf gesättigt und kann keine weitere Feuchtigkeit mehr aufnehmen; der Schweiss rinnt ohne kühlende Wirkung am Körper hinunter.

Kälte kann den Körper übermäßig auskühlen. Ab 34°C Kerntemperatur tritt Unterkühlung auf, unterhalb von 20°C droht der Kältetod. Um den Verlust von Körperwärme einzudämmen ziehen sich die Adern zusammen, die Durchblutung der Körperoberfläche wird reduziert. Bei niedriger Temperatur, hoher Luftfeuchte und starkem Wind wird die Luft deutlich kälter empfunden, als der Thermometerwert anzeigt. Hoher Wasserdampfgehalt verbessert die Wärmeleitfähigkeit der Luft und Wind entfernt die just erwärmte Luft gleich wieder und ersetzt sie durch Kaltluft. Der Fröstelfaktor ist an windigen nasskalten Tagen höher als bei Sonnenschein und trockener Luft. Hochdruckwetterlagen mit sehr kalter aber trockener Festlandsluft mit -10°C werden deshalb als angenehmer empfunden als Schneeregen bei +3°C. So werden beispielsweise auf der windigen Insel Rügen (Mecklenburg-Vorpommern) Thermometerwerte um den Gefrierpunkt erwartet, die gefühlte Temperatur liegt tagsüber aber bei -8°C. In Berlin fühlen sich -1°C wie etwa -7°C an. An den Alpen kann jedoch bei Sonnenschein die gefühlte Temperatur über dem Thermometerwert liegen. In Garmisch-Partenkirchen soll di eLufttemperatur um die Mittagszeit bei 5°C liegen, die im Sonnenschein aber wie 7 bis 8°C empfunden werden.

Die gefühlte Temperatur orientiert dabei sich am Behaglichkeits- oder Komfortbereich. Ist es kälter oder wärmer, leiden wetterempfindliche Menschen unter Kältestress oder Wärmebelastung, denn der Körper reagiert auf die gefühlte Temperatur, nicht auf den Thermometerwert. Deshalb ist eine große Diskrepanz zum Komfortbereich immer auch eine Belastung für das Herz-Kreislauf-System, für die Atemwege, für das Schmerzempfinden, für die Psyche und das Gemüt.

Quellen:

Dipl.-Met. Thomas Ruppert: "Winkelförmige Westwetterlage“. Thema des Tages, Newsletter des Deutschen Wetterdienstes (DWD) vom 04.02.2017

MSc.-Met. Sebastian Schappert: Winterferienwetter 2017. Thema des Tages, Newsletter des Deutschen Wetterdienstes (DWD) vom 06.02.2017

Dipl.-Met. Sabine Krüger: Die Gefühlte Temperatur. Thema des Tages, Newsletter des Deutschen Wetterdienstes (DWD) vom 07.02.2017

Erstellt am 7. Februar 2017
Zuletzt aktualisiert am 7. Februar 2017

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