In der dritten Person von sich zu reden ist gesunde Abstraktion vom geplagten Ich

Selbstdistanziernde Selbstgespräche zur Stresskontrolle

von Holger Westermann

Wenn eine Mutter ihr Kind zärtlich bittet „Gib’ der Mama einen Kuss“ oder ein Ausdauersportler mit dem Ansporn „Der träge Sack darf jetzt nicht schlapp machen“ letzte Kräfte mobilisiert, reden Menschen in der dritten Person mit und von sich selbst. Solche Selbstgespräche muten auf den ersten Blick seltsam an, doch die verbale und gedankliche Distanzierung vom Ich ist eine effektive Methode Emotionen und Stress zu kontrollieren.

Linguisten nennen es Illeismus (lateinisch ille = jener / er und dem Kennzeichen für Hauptwörter -ismus) wenn jemand von sich selbst in der dritten Person spricht. Entweder gilt es als rethorischer Kniff soziale oder familiäre Beziehungen zu betonen, als literarischer Kunstgriff (Julius Caesar spricht im Bello Gallico von „Caesar“, wenn er sich als erfolgreichen Feldherrn schildert) oder als Ausdruck enorm entwickelter Eitelkeit.

Forscher der Michigan State University in East Lansing und der University of Michigan in Ann Arbor (USA) erkannten in den Selbstgesprächen eine potentielle Technik zur Selbstbeherrschung und Stressbewältigung. Sie untersuchten in getrennt durchgeführten Experimenten die gemeinsame Fragestellung, inwiefern die Illeismus-Selbstdistanzierung hilft, Emotionen zu kontrollieren.

Im ersten Experiment präsentierten die Forscher 37 Probanden emotional neutrale und irritierende, verstörende Bilder (beispielsweise ein Mann, der sich eine Pistole an den Kopf hält). Dabei wurden mit Elektroenzephalogramm (EEG) die Gehirnströme gemessen. Je nach Bild sollten sich die Versuchsteilnehmer in einem kurzen Selbsttest in der ersten Person („Warum verstört mich dieses Bild?“) oder in der dritten Person nach der Ursache der emotionalen Reaktion befragen. Dabei zeigte sich, dass die innere Anspannung durch irritierende Bilder sehr viel schneller abklang, wenn das Selbstgespräch in der dritten Person formuliert wurde.

Das zweite Experiment überprüfte dieses Ergebnis an weiteren 52 Probanden mit funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT). Die Hirnscans sind präziser in der räumlichen Auflösung als das EEG. Die aktiven Gehirnareale können genauer bestimmt werden. Doch die Versuchssituation wird durch den Aufenthalt in der „Röhre“ von den Probanden oftmals als beklemmend empfunden. Zudem ist die zeitliche Auflösung, die Präzision beim Messen des Reiz-Reaktions-Zusammenhangs, schlechter als beim EEG. Auch in dieser Versuchsanordnung war die emotionale Hirnaktivität bei Selbstgespräche in der dritten Person besonders gering.

"Wirklich interessant ist, dass die Daten beider unabhängiger Experimente darlegen, dass Selbstgespräche in der dritten Person, eine vergleichsweise mühelose Form der emotionalen Selbstkontrolle darstellen“, fassen die Forscher ihre Ergebnisse im Fazit zusammen und erklären diesen Effekt durch die sprachliche Distanzierung und den gedanklichen Abstand: „Von sich selbst in der dritten Person zu sprechen führt dazu, dass Leute mehr über sich selbst nachdenken wie über andere Menschen.“ Die Erkenntnis, dass diese Form der emotionalen Selbstkontrolle nur geringe geistige Anstrengung voraussetzt, könnte das Dritt-Person-Selbstgespräch zu einem hilfreichen Therapieansatz für stressgeplagte Menschen machen.

Und dann gibt es noch einen Grund in der distanzierenden dritten Person Selbstgespräche zu führen. Auch er trägt nachhaltig dazu bei, Stress abzubauen: Es tut gut, mal wieder mit einem vernünftigen Menschen zu reden.

Quellen:

Moser, J.S. et al. (2017): Third-person self-talk facilitates emotion regulation without engaging cognitive control: Converging evidence from ERP and fMRI. Scientific Reports 7: 4519, online veröffentlicht 03.07.2017. doi:10.1038/s41598-017-04047-3

Erstellt am 2. August 2017
Zuletzt aktualisiert am 2. August 2017

Unterstützen Sie Menschenswetter!

Die Höhe des Beitrags liegt in Ihrem Ermessen.

Weitere Informationen...

 3 Euro    5 Euro    12 Euro  
 Betrag selbst festlegen  

Ab jetzt Winterwetter

Es ist nicht nur ein kurzzeitiger Kaltluftvorstoß, sondern der drastische Wechsel vom nasskalten Herbst zu frostigem Winterwetter. Die Großwetterlage stellt sich nachhaltig um. Das ist hierzulande Ende November eigentlich „normal“, nur in den letzten Jahren blieb der Übergang vom Spätherbst zum Frühwinter zumeist mild; Schnee schmolz rasch wieder dahin. Diesmal ist das anders - es wird nachhaltig winterlich. weiterlesen...


Schon wenig Rotwein kann massive Kopfschmerzen auslösen

Reichlich Rotwein am Abend kann morgens Kopfschmerz provozieren. Manchen Menschen leiden jedoch schon nach einem kleinen Glas oder gar einem Probierschluck Rotwein und rasch anflutenden Kopfschmerzen - nicht erst nach Stunden im alkoholvertieftem Komaschlaf, sondern unmittelbar anschließend bei hellwachem Bewusstsein. weiterlesen...


Impfsaison 2023/2024 für Menschen mit Atemwegserkrankungen

Robert-Koch-Institut (RKI) und Ständige Impfkommission (STIKO) empfehlen Menschen mit Asthma und COPD frühzeitige Impfung gegen Grippe (Influenza) und neue Corona-Varianten sowie eine Überprüfung des Pneumokokken-Schutzes zur Vorbeugung einer Lungenentzündung. Gerade in der jetzt beginnenden kalten Jahreszeit steigt neben Infektionen der oberen und unteren Atemwege auch das Risiko für spürbare Verschlechterung der Symptomatik von vorbestehenden Lungenerkrankungen. weiterlesen...


Künstliche Intelligenz (KI) unterstützt Ärzte bei der Diagnose

Das Konzept der KI (im Englischen treffender als Artificial Intelligence bezeichnet) ist in der aktuell populären Version auf die Komposition von Texten optimiert. In der medizinische Diagnostik werden andere Qualitäten gefordert. Doch schon heute liefern solche Anwendungen erstaunlich kompetente Unterstützung. weiterlesen...


Wetterwechsel provoziert Migräneattacken

Befragt man Menschen, die unter Migräne leiden, werden zuverlässig bestimmte Wetterlagen oder  eine besonders dynamische Veränderung des Wetters als Auslöser von Schmerzattacken genannt. Deshalb wurde dieser besondere Umwelt-Trigger schon vielfach untersucht. Neue Studien zeigen, dass es nicht die Wetterlage ist, die Schmerzattacken auslöst. weiterlesen...


Auf Rosen gebettet lernt es sich leichter

Gerüche können Kreativität und Lernerfolg verbessern. Freiburger Forscher haben nun untersucht, was genau der betörende Rosenduft bewirkt und in welcher Dosis er das Lernen erleichtert. weiterlesen...