Die Grenzen der Vorhersagbarkeit im chaotischen System

Demokratische Wetterprognose

von Holger Westermann

Wetter ist ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor. Nicht nur vordergründig für Gastronomie, Landwirtschaft, Bauindustrie, Energieversorgung oder die Planung von Open Air Veranstaltungen, sondern auch Lebensmittelhändler und Drogerien dient das Wetter als Planungsgrundlage für die kurzfristige Sortimentgestaltung. Bei Regen mögen die Menschen weniger Salat, bei Hitze meiden die Kunden Kohl und kaufen Grillfleisch. Schwere, blumige Düfte werden bei Sonnenschein weniger nachgefragt als Parfüm auf Basis von Zitronen- und Holznoten. Ärgerlich, wenn die Wettervorhersage irrt.

Je besser moderne Logistik funktioniert, um so kurzfristiger und verlustärmer kann der Handel sein Angebot komponieren. Die Berücksichtigung der aktuellen Wettervorhersage ist inzwischen Standard. So wird verhindert, dass unverkäufliche Ware verdirbt oder zu verschenkt werden muss. Bei Geschäften in teueren Innenstadtlagen ist es schon hinreichender Anreiz die wertvollen Regalmeter mit schnell absetzbaren Waren zu bestücken und Ladenhüter auszulagern.

So erstaunt es nicht, dass das Interesse an langfristigen oder zumindest mittelfristigen Vorhersagen wächst. Doch leider sind verlässliche Wettervorhersagen sind für einen Zeitraum über sieben Tage nicht möglich. Dagegen sprechen die Gesetze der Physik chaotischer Systeme.

Heutzutage sind Wetterprognosen Rechenergebnisse von Wettervorhersagemodellen. Dabei wird von einem Hochleistungsrechner (die leistungsstärksten Rechner dienen der Meteorologie) aus einem gegebenen Anfangszustand der Atmosphäre deren Zustand zu einem späteren Zeitpunkt berechnet. Deshalb ist ein präzise charakterisierter Anfangszustand ausschlaggebend für die Prognosequalität. Die Daten dazu liefern Stationsbeobachtungen, Messungen von Bojen, Schiffen und Flugzeugen, Ballonaufstiegen sowie aus Satelliten- und Radardaten. Wettermodelle liefern dem Meteorologen nicht nur die Feuchte- und Druckverteilung in verschiedenen Höhen, sondern auch Parameter wie die Temperatur, den Bedeckungsgrad sowie die Niederschläge.

Bedauerlicherweise entziehen sich chaotische Systeme wie die Wetterentwicklung einer mathematisch genauen Berechnung. Es gibt keine definierten Zustände in der Atmosphäre, sondern nur Wahrscheinlichkeiten für Zustände – jeweils mit einer gewissen Unschärfe versehen. So können selbst geringe Abweichungen der Anfangsbedingungen in der Zukunft zu einer völlig andern Wetterentwicklung führen. Der amerikanische Meteorologe Edward N. Lorenz, ein Begründer der Chaostheorie, veranschaulichte diesen Effekt mit der Metapher vom Schmetterlingseffekt: Der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien könne einen Tornado über Texas auslösen.

Nun lässt sich der Anfangszustand der Atmosphäre für die Wettermodelle nicht beliebig genau bestimmen. Zum einen gibt es nicht für jeden Punkt der Atmosphäre Messungen, zum anderen sind alle Beobachtungen ein wenig ungenau und somit fehlerbehaftet. Zudem werden die Wettermodelle zwar mathematisch korrekt berechnet, sie entsprechen aber nur einem Teil der Wirklichkeit. So sind Modellgleichungen nur Näherungen, Spötter mögen sie „genau berechnete Schätzungen“ nennen. Deshalb werden die Modellrechnungen mit zunehmender Vorhersagezeit immer unsicherer. Wie lange das Wetter noch zufriedenstellend genau vorhersagbar ist, hängt von der jeweiligen Wetterlage ab. Bei stabilen Wetterlagen, wie zum Beispiel lang anhaltenden Hochdruckwetterlagen, ist der Zeitraum verhältnismäßig lang, während er bei Grenzwetterlagen oft nur wenige Tage beträgt. Im Allgemeinen gilt jedoch, dass das Wetter heutzutage, ohne auf regionale Detailprognosen einzugehen, im Mittel etwa sieben Tage vorhersagbar ist. Bis zu zehn Tagen kann man noch einen Trend angeben.

Um das Chaos in der Atmosphäre abzubilden wird für die Wettervorhersage eine Vielzahl von Modellen berechnet – wobei jedes zu einem eigenen Ergebnis kommt. Da auch geschulte Meteorologen diese Ergebnisvielfalt nur schwer überblicken können, hat sich ein demokratischer Weg der Entscheidung etabliert: die Ensembleberechnung. Dazu wird jedes Wettermodell mehrfach mit jeweils leicht abweichendem Anfangszustand durchgerechnet. Häufen sich dabei einzelne Vorhersageszenarien, so treffen diese mit größerer Wahrscheinlichkeit ein. Die Meteorologen lassen die Vorhersagemodell über die Wetterentwicklung abstimmen, welches Szenario die Mehrheit hinter sich vereint, dem wird das Vertrauen ausgesprochen – und es wird als Wetterprognose veröffentlicht.

Auch wenn sich die Rechenleistung der Supercomputer weiterhin so rasant entwickelt wie bisher, die mögliche Vorhersagezeit für die Wetterentwicklung wird sich nur langsam verlängern. Denn auch dann wird sich nicht jeder Flügelschlag eines Schmetterlings erfassen lassen. So postulierte der Mathematiker und Chaosforscher Wladimir Igorewitsch Arnold, dass die mathematisch mögliche Grenze von Wettervorhersagen bei zwei Wochen liege.

Quellen:

Dipl.-Met. Christian Herold: Die Grenzen der Vorhersagbarkeit. Thema des Tages, Newsletter des Deutschen Wetterdienstes (DWD) vom 21.04.2014

Erstellt am 21. April 2014
Zuletzt aktualisiert am 21. April 2014

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