Erfolgreiche Reduktionsdiät in sauerstoffarmer Atemluft

Bergluft hält schlank

von Holger Westermann

Dünn ist in luftiger Höhe nicht nur die Luft, sondern offensichtlich auch die Bevölkerung. Dabei spielt die, im Vergleich zu einem Flachlandfußmarsch, größere Anstrengung beim Wandern in den Bergen offensichtlich eine geringere Rolle als der Sauerstoffgehalt der Atemluft.

Ein Vergleich der Body-Mass-Indices (BMI) von 422.603 US-Amerikanern (Datensatz des Behavioral Risk Factor Surveillance System, BRFSS), die in Tallagen unterhalb von 500 Metern ü. NN (322.681 aus der Stichprobe) leben mit Landsleuten aus den Bergen über 3000 ü. NN (236 aus der Stichprobe), ergaben sich deutlich Unterschiede in der Wahrscheinlichkeit adipös (BMI > 30 kg/m2) zu sein: Bei Männern war das Risiko fünf mal so hoch, bei Frauen viermal so hoch. Andere Einflussfaktoren des Wohnortes wie mittlere Jahrestemperatur oder Größe der Stadt aber auch demographische Größen und Charakteristika des Lebensstils wie Alter, Bildungsniveau und Einkommen hatten die Forscher zuvor herausgerechnet.

Eine aktuelle Studie untersucht den Effekt an einer Bevölkerungsgruppe, die unter vergleichbaren Lebensbedingungen stets für längere Zeit aber prinzipiell nur vorübergehend an einem Ort wohnt und dabei auch entlegene Landschaft besiedelt: Soldaten. Dabei wählten die Forscher gezielt solche Soldaten aus, die bereits zu Beginn ihrer zumindest vierjährigen Dienstzeit übergewichtig waren. Soldaten, die in einem der drei Berg-Standorte (über 1.900m ü. NN) innerhalb der USA stationiert waren wurden mit 40% geringerer Wahrscheinlichkeit adipös als ihre Kameraden im Flachland.

Die Forscher vermuten, dass in der sauerstoffarmen Höhenluft das Hormon Leptin verstärkt ausgeschüttet wird. Leptin hemmt das Hungergefühl und reguliert den Fettstoffwechsel, beispielsweise senkt es den Blutzuckerspiegel. Zur Adipositas-Therapie haben Medikamente auf Basis von Leptin jedoch nicht bewährt, da stark übergewichtige Menschen ohnehin schon einen hohen Leptin-Spiegel aufweisen. Vergleichbar mit der Insulin-Resistenz vieler Typ-2-Diabetiker (bei denen reichlich Insulin im Blut zirkuliert, das aber nicht wirkt) wird von einer Leptin-Resistenz ausgegangen. Demgegenüber ist die Höhenluft-Therapie zwar langwierig – beim Kurzurlaub stellt sich der Effekt offensichtlich noch nicht ein – sie umgeht aber das Resistenzproblem der Leptin-Medikamente.

Diese Erkenntnis deckt sich mit den Befunden von Prof. Dr. Bengt Kayser und Dr. Samuel Vergès von der Universität Grenoble (Schweiz). Sie empfehlen einen längeren Aufenthalt in sauerstoffarmer Hochgebirgsluft als Adipositas-Therapie. Stark übergewichtige Menschen könnte in dieser Umgebung die Reduktionsdiät leichter fallen als im Flachland. Sie vermuten, dass im Darm weniger Energie aus der Nahrung aufgenommen wird und die dünne Luft einen höheren Grundumsatz, also Energieverbrauch, provoziert. Dabei gehen sie davon aus, dass der positive Effekt auch bei regelmäßig auftretendem Sauerstoffmangel (intermittierender Hypoxie) auftritt, wenn beispielsweise tagsüber große Höhen aufgesucht werden, aber im Tal übernachtet wird. So könnten Menschen mit Begleiterkrankungen der Adipositas wie Herz-Kreislauf-Problemen (Bluthochdruck, Hypertonie), Schlafstörungen oder insgesamt geringer körperlicher Belastbarkeit eine ungestörte und erholsame Nachtruhe mit hinreichender Sauerstoffversorgung genießen. Tagsüber könnte ein Bewegungsprogramm in dünner Höhenluft die Voraussetzungen für ein zukünftig unbeschwertes Leben nachhaltig verbessern.

Ob diese Therapieoption tatsächlich den erhofften Zusatznutzen im erwarteten Umfang mit sich bringt, muss noch in weiteren Studien geklärt werden. Diese Forschungsprojekte sollten auch bereits adipöse Menschen mit einschließen, um den positiven Effekt auch unter diesen besonderen physiologischen Bedingungen zu dokumentieren. Bisher ist nur gesichert, dass der Wohnort im großer Höhe für leicht Übergewichtige das Risiko einer weiteren Gewichtszunahme reduziert.

Quellen:

Kayser, B.; Vergès, S. (2013): Hypoxia, energy balance and obesity: from pathophysiological mechanisms to new treatment strategies. Obesity Review 14(7): 579-592. DOI: 10.1111/obr.1203. Online veröffentlicht am 28.03. 2013.

Voss, J.D. et al. (2013): Association of elevation, urbanization and ambient temperature with obesity prevalence in the United States. International Journal of Obesity 37: 1407–1412. doi:10.1038/ijo.2013.5. Online veröffentlicht am 29.01. 2013

Voss, J.D. et al. (2014): Lower Obesity Rate during Residence at High Altitude among a Military Population with Frequent Migration: A Quasi Experimental Model for Investigating Spatial Causation. PLOS ONE 9(4): e93493. Online veröffentlicht am 16.04. 2014.

Erstellt am 25. April 2014
Zuletzt aktualisiert am 25. April 2014

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