Wetter

Windchill und die gefühlte Temperatur

von Holger Westermann

Der meteorologische Winter endete am 28. Februar, der astronomische währt heuer (in diesem Jahr, 2015) noch bis zum 20. März. Nach sternklaren Nächten überzieht Reif Wege und Wiesen, an manchem Morgen muss mit Straßenglätte gerechnet werden. Bleibt der Himmel auch tagsüber wolkenfrei, wärmt die Strahlungswärme der Sonne spürbar auch wenn der Thermometerwert nur wenig steigt. Stürmt es dagegen bei Regenwetter frösteln die Menschen zuverlässig, obwohl messbar höhere Temperaturen herrschen. Auf die Gesundheit wirkt aber ausschließlich die gefühlte und nicht die gemessene Temperatur.

Wesentlich für die Differenz zwischen empfundener und abgelesener Temperatur ist der Windchill-Effekt. Er beschreibt die Abkühlung der Haut durch den Wind; bei höherer Windgeschwindigkeit ist die Wirkung stärker als bei Flaute. Ursache dafür ist die Unfähigkeit der Menschen absolute Temperaturen zu unterscheiden. Wie alle Säugetiere messen die Rezeptoren der Haut nicht die Umgebungstemperatur, sondern den Wärmeverlust des Körpers. Für ein Individuum, das auf eine konstante Körpertemperatur angewiesen ist, ist das eine überlebenswichtige und somit auch eine erwartbar evolutionär erfolgreiche Lösung.

Der Windchill-Effekt vermittelt den Eindruck einer geringeren Umgebungstemperatur, wenn die Hauttemperatur über der Lufttemperatur liegt. Je größer die Differenz zwischen der Haut- und Lufttemperatur und je höher die Windgeschwindigkeit ist, um so niedriger ist die Windchill Temperatur (kurz: Windchill) in Relation zum Thermometerwert. Praktische Anwendung findet der Windchillwert in den USA und Kanada als Warnhinweis für das Risiko von Erfrierungen. Bei extrem niedrigem Windchill ziehen sich die oberflächlichen Adern so stark zusammen, dass die oberen Hautschichten nicht mehr hinreichend erwärmt werden und absterben können.
 (USA: National Weather Service, NWS Windchill Chart; Kanada: Enviroment Canada, Windchill)

Die gefühlte Temperatur, auf die sich auch die Menschenswetter-Vorhersagen stützen, berücksichtigen den Windchill-Effekt sowie die Luftfeuchtigkeit und die Sonnenstrahlung (direkte im Sonnenschein und auch die indirekte Reflexionsstrahlung). Grundlage für die gefühlte Temperatur ist das Klima-Michel-Modell des Deutschen Wetterdienstes (DWD). Der Klima-Michel ist ein Modellmensch: Körperhöhe 1,75m, Körpermasse 75kg, Körperoberfläche (Haut) 1,9m2, Alter 35 Jahren, der das Wärmeempfinden eines Durchschnittseuropäers wiedergeben soll. Die Bekleidung wird zwischen leichter Sommer- und dicker Winterbekleidung den meteorologischen Bedingungen angepasst. So empfindet der Klima-Michel zwischen 0 und 20°C weder Kältereize noch Wärmebelastung.

Sinkt die gefühlte Temperatur unter die Frostgrenze kann die körperliche Reaktion auf den Wärmeverlust bei Menschen mit Gesundheitsproblemen zu einer Verstärkung der Symptome oder eine Verschlechterung des Krankheitsverlaufs führen. Auf Menschenswetter unterscheiden wir

    geringen Kältereiz bei 0°C bis -10°C
    mäßigen Kältereiz bei -11°C bis -18°C
    starken Kältereiz bei gefühlter Temperatur unter -18°C

Auf der anderen Seite kann auch Wärme Gesundheitsbelastungen provozieren. Wenn die Körperwärme, die bei Muskeltätigkeit und Organaktivität entsteht, nicht mehr zuverlässig abgeführt wird, droht Überhitzung. Der Körper reagiert darauf durch Weitstellung der Adern, Reduktion der Muskelspannung, verminderte Bewegungsbegeisterung und eingeschränkte Leistung der Organe. Besonders drastisch ist die Situation bei Schwüle, wenn der Schweiss ohne zu kühlen (beim Verdunsten auf der Haut) den Körper herunterrinnt. Bei Wärme beeinflusst die Luftfeuchte die gefühlte Temperatur maßgeblich: Bei einem Gewitter kühlt der Regen die Lufttemperatur, durch den rasanten Anstieg des Wasserdampfgehalts der Luft wird die Wärmebelastung aber als zunehmend drückend empfunden. Deshalb unterscheiden wir auf Menschenswetter nach der gefühlten Temperatur

    geringe Wärmebelastung bei 20°C bis 25°C
    mäßige Wärmebelastung bei 26°C bis 31°C
    starke Wärmebelastung bei 32 bis 36°C
    extreme Wärmebelastung bei über 36°C

Die gefühlte Temperatur beschreibt die Temperatur, die mit angemessener Kleidung, bei mittlerer Luftfeuchtigkeit und Windstille (beispielsweise bei einem Spaziergang im Schatten) empfunden wird. Daher ist die gefühlte Temperatur unter warmen, sonnigen und windschwachen sommerlichen Bedingungen höher als die gemessene Temperatur. Im Winter fällt die gefühlte Temperatur vor allem bei windigem Wetter geringer aus. Im Extremfall können in Mitteleuropa bis zu 15°C Unterschied zwischen gefühlter und gemessener Temperatur liegen. Zwischen dem Windchill und der gefühlten Temperatur betragen die Unterschiede im Winter selten mehr als 2°C; im Sommer, wenn der Windchill-Effekt eher Linderung anstatt Belastung bedeutet, sind die Differenzen dagegen größer.

Der allgemeine Wetterbericht, der nur die erwarteten Thermometerwerte nennt, ist für wetterempfindliche Menschen nur von geringer Aussagequalität. Die gefühlte Temperatur und die Dynamik der Temperaturänderung beim Durchzug von Tiefdruckgebieten bestimmt den Einfluss des Wetters auf die Gesundheit. Diese spezielle Vorhersage finden sie jeden Tag für heute-morgen-übermorgen auf Menschenswetter.

Quellen:

M.Sc.-Met. Anna Wieczorek: "Brrr...ist das kalt und unangenehm!" Thema des Tages, Newsletter des Deutschen Wetterdienstes (DWD) vom 04.02.2015

Westermann, H. (2015): Frostskala. Menschenswetter Artikel 1176, online veröffentlicht am 04.02. 2015.

Erstellt am 4. März 2015
Zuletzt aktualisiert am 6. März 2015

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