Intensive Kontrolle und Bevormundung durch die Eltern führt zu dauerhaften Schäden

Ohne Privatsphäre verkümmert die Kinderseele

von Holger Westermann

„Wir haben es doch nur gut gemeint“ wird wohl die häufigste Entschuldigung sein, wenn Kinder kritisieren, dass ihre Eltern sie erdrückend kontrollierten. Doch auch hier zeigt sich, dass „gut gemeint“ eben genau das Gegenteil von „gut gemacht“ ist. Helikopter-Eltern, die kontrollierend und beschützend ihren Nachwuchs umschwirren und dabei unablässig Bevormundung ausüben, verursachen nachhaltigen Schaden an der Seele ihre Kinder.

Grundlage für die Untersuchung der Wissenschaftler aus Großbritannien, Schottland und Australien war der Datensatz des britischen National Survey of Health und Development des Medical Research Council (Landesweite Befragung zu Gesundheit und Entwicklung vom Medizinisch-Wissenschaftlichen-Rat). Diese Langzeitstudie begann mit 5.362 Knaben und Mädchen, die im März 1946 geboren wurden; in bislang 23 Wellen dokumentiert die Langzeitstudie Daten zur körperlichen und mentalen Gesundheit sowie zur Lebensführung und den Lebensbedingungen in den 69 Jahren ihrer Biographie.

Die Eltern-Kind-Beziehung ist für psychische Entwicklung der Nachkommen von zentraler Bedeutung. Psychische Störungen bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen lassen sich oftmals auf eine problematische Eltern-Kind-Beziehung zurückführen. Zumeist stehen dabei jedoch Vernachlässigung oder gar Misshandlungen (körperliche wie seelische) im Fokus, eine negative Wirkung übertriebener Fürsorge wurde bislang nicht untersucht.

Dabei sind deren Folgen für die psychische Gesundheit durchaus mit traumatischen Erlebnissen vergleichbar, beispielsweise dem Verlust eines geliebten Menschen. Als übertriebene Fürsorge definierten die Forscher:

  • Kontrolle, die den Kindern kaum eigene Entscheidungen zutraut (Alle Risiken und Gelegenheiten für „Fehler“ vom Kind fernhalten, Konflikte - auch mit Gleichaltrigen - anstelle des Kindes austragen)
  • Stete Verletzung der Privatsphäre (Ohne Anklopfen ins Kinderzimmer treten, Schränke und Schubaden durchwühlen, Tagebuch lesen)
  • Psychologische Abhängigkeit fördern (Loyalität einfordern und jede Entscheidung zum Loyalitätskonflikt stilisieren, Für jede nicht von den Eltern vorgegebene Entscheidung eine Rechtfertigung verlangen)

Erwachsene der National Survey of Health und Development Kohorte, die als Kinder, unter solchen Bedingungen aufwachsen, sind heute unglücklicher und leiden mit größerer Wahrscheinlichkeit unter psychischen Problemen als Altersgenossen, die auf eine weitgehend selbstbestimmte Kindheit zurückblicken können.

„Wir haben festgestellt, dass die Menschen, deren Eltern bei der Erziehung Wärme und Empathie zeigten, im mittleren und späten Erwachsenenalter sich einer höheren Lebenszufriedenheit und einer bessere psychischen Gesundheit erfreuten“ erläutert Dr. Mai Stafford. Als solche positiven Kriterien galten den Forschern, wenn sich die heute Erwachsene an ihre Eltern erinnerten und dabei dokumentierten:

  • Sie waren zärtlich zu mir.
  • Konnten meine Probleme und Sorgen verstehen.
  • Ließen mich ausgehen, so oft ich wollte.
  • Gaben mir so viel Freiheit wie ich wollte.


Die Ergebnisse der Studie waren auch stabil, nachdem Störfaktoren wie Trennung der Eltern während der Kindheit, das soziale Umfeld (soziale Schicht), die psychische Gesundheit der Mutter und andere relevante Persönlichkeitsmerkmale herausgerechnet waren.


„Wir wissen aus anderen Studien wie wichtig eine verlässliche soziale Kind-Eltern-Bindung für die psychische Gesundheit ist“, erläutert Dr. Mia Stafford in ihrem Fazit. „Andererseits behindert unablässige psychologische Kontrolle durch die Eltern die Entwicklung zur Selbständigkeit und die Fähigkeit das eigene Verhalten zu gestalten.“

So fordert auch die UNICEF Kinderrechtskonvention in Artikel 16 explizit einen Schutz der Privatsphäre: Kinder haben das Recht, dass ihr Privatleben, ihre Würde und ihre persönliche Ehre geachtet werden. Damit sind auch die Eltern angesprochen, gerade sie sollten dieses Recht ihrer Kinder verteidigen - auch gegen den eigenen Drang zu übermäßiger Bemutterung und Bevaterung.

Quellen:

Stafford, M. et al. (2015): Parent-child relationships and offspring’s positive mental wellbeing from adolescence to early older age. Journal of Positive Psychology, online veröffentlicht am 15.09. 2015. DOI: 10.1080/17439760.2015.1081971

Erstellt am 25. September 2015
Zuletzt aktualisiert am 25. September 2015

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