Das Geschlecht beeinflusst schon im Kindesalter die Bildungsstrategie

Mädchen profitieren besonders effektiv von Mathe-Extrastunden

von Holger Westermann

Schülerinnen verbessern ihre Leistungen und Schulnoten, wenn sie zusätzlichen Unterricht besuchen. Vor allem Lernmotivation und Konzentrationsfähigkeit steigen. Bei Knaben wecken Zusatzstunden bestenfalls größere Begeisterung für das Schulfach, bessere Bewertungen ihrer Kenntnisse sind aber nicht zwingend zu erwarten.

Ein italienisches Forscherteam untersuchte die Wirkung von zusätzlichem Nachmittagsunterricht auf die Leistungen von 10- bis 11-Jährigen. Sie wählten die Schulfächer Mathematik (rational, verständnisorientiert) und der Muttersprache Italienisch (emotional, verstehensorientiert) um divergenten Begabungen von Knaben und Mädchen gerecht zu werden. Der Leistungsstand der Kinder und ihre Begeisterung für die Schulfächer wurden vor und nach dem Trainingsschuljahr im Rahmen eines landesweiten Schülertests erhoben (INVALSI, Istituto nazionale per la valutazione del sistema educativo di istruzione e di formazione). In die Studie eingebunden waren daraus 134 Schulen mit Zusatzunterricht (mZ) und 114 Schulen ohne Zusatzunterricht (oZ) aus sozial problematischen Regionen Italiens. Die 6.228 mZ-Schüler kamen aus 313 Schulklassen. Für die oZ-Kontrollgruppe wurden zwei Teilgruppen gebildet: 8.260 oZ-Schüler von mZ-Schulen und 12.455 oZ-Schüler von oZ-Schulen.

Bei der Auswertung der Leistungs- und Begeisterungsentwicklung der Schüler zeigten Mädchen in beiden Fächern eine deutliche Verbesserung. Die Forscher führen den Effekt auf das gewachsene Selbstvertrauen der Mädchen zurück. Der für viele Mädchen ungewohnte Erfolg in Mathematik beflügelt auch die Motivation in anderen Schulfächern und verbessert so mittelbar die Leistung, erklären die Wissenschaftler.

Knaben sehen dagegen die Zusatzstunden offenbar als Ersatz und nicht als stimulierende Ergänzung zur unterrichtsbegleitenden Arbeit zu Hause. Der zusätzlichen Unterricht in Italienisch verbesserte die Begeisterung für das Schulfach, nicht aber die messbare Leistung. Parallel dazu wurden sie in Mathematik sogar schlechter. Die Zeit für den Zusatzunterricht und das größere Engagement für Italienisch ging zu Lasten der häuslichen Vorbereitungszeit im (an sich bevorzugten) Schulfach Mathematik.

Die Forscher vermuten als Ursache für den eklatanten Geschlechterunterschied im Lernerfolg durch Zusatzunterricht das geschlechtertypische Risikoverhalten in Verbindung mit sozialem Engagement und Lerndisziplin: Knaben besonders risikobereit, sie suchen die Entscheidung in der direkten Konfrontation während Mädchen in langfristig stabile soziale Bindungen investieren - mit Engagement und Disziplin als Mittel zu diesem Zweck.

In ihrem Fazit betonen die Autoren der Studie, dass der Zusatzunterricht sich durchweg positiv auf das Sprachvermögen und die Begeisterung für das Fach Italienisch ausgewirkt habe. Sie kritisieren jedoch: „Im Vergleich zu anderen Kriterien wird das Geschlecht (der Kinder) weitgehend vernachlässigt, obwohl es anscheinend eine relevante Dimension für effizienten Bildungsinterventionen ist.“

Quellen:

Meroni, E.C.; Abbiati, G. (2016): How do students react to longer instruction time? Evidence from Italy. Education Economics, online veröffentlicht am 19. 01. 2016. DOI: 10.1080/09645292.2015.1122742

Erstellt am 3. April 2016
Zuletzt aktualisiert am 3. April 2016

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