Regelmäßigkeit und Wiederholung suggerieren Kontrolle der Bedrohung

Religiöse Rituale reduzieren Angst und Stress

von Holger Westermann

Angst ist eine mächtige Emotion, die durch die Erwartung von Bedrohungen und Katastrophen ausgelöst wird und Stress auslöst - und so messbar mit den somatischen Stresssymptomen verbunden ist. Schon in der Frühzeit der Erforschung universeller Kulturphänomene postulierte der polnischen Sozialanthopologe Bronislaw Malinowski (1884 - 1942), dass magisch-religiöse Rituale geeignet sind aktiven Einfluss auf unkontrollierbare Bedrohungen vorzutäuschen und so die überwältigende Angst abzuschwächen.

Ein Team tschechischer Wissenschaftler prüfte diese Theorie an einer an hinduistischen Fischergemeinschaft in La Gaulette, einem Küstendorf mit etwa 2500 Einwohnern im Südwesten von Mauritius (Inselstaat im Indischen Ozean). Der Alltag der Menschen wird bestimmt von Arbeit, sozialen Kontakten, Ritualen im Tempel und Müßiggang. Das Wetter hat für die Menschen dort besondere Bedeutung, da hohe See die Ausfahrt zum Fischen verhindern kann und ein überraschender Sturm auf dem Meer für die Boote und ihre Besatzung eine lebensbedrohliche Gefahr darstellen. Heftiger Monsunregen, Überschwemmungen und Wirbelstürme (Zyklone) kennt jeder, der dort lebt. So konnten die Forscher Angst provozieren, indem man 74 freiwillige Frauen aufforderte, für solchen Naturkatastrophen einen Notfallplan auszuarbeiten. Die intensive Beschäftigung mit diesen bedrohlichen Szenarien ängstigte und setzte die Frauen vorübergehend unter Stress. Nachdem die Aufgabe erledigt und der erstellte Plan von Experten bewertet worden war, verschwand der Effekt wieder. Zuvor wurde ein Teil der Gruppe ermutigt in einem örtlichen Tempel das gewohnheitsmäßige Ritual auszuüben (rituelle Bedingung, 43 Frauen, mittleres Alter 45,5 Jahre) die andere Teilgruppe sollte es sich gemütlich manchen und sich entspannen (Kontrollbedingung, 32 Frauen, 41,5 Jahre). Für die Aufgabe wurden ausschließlich Frauen ausgewählt, da diese sehr viel häufiger für spontane und individuelle Rituale in den Tempel gehen, während Männer ausschließlich an Gemeinschaftsritualen teilnehmen.

Die Ergebnisse zeigten, dass die Teilnehmer unter rituellen Bedingungen weniger ängstlich waren und auch weniger physiologischen Angst- und Stresssymptome zeigten, beispielsweise niedrigere Herzfrequenz. In ihrem Fazit erklären die Forscher, dass religiöse Rituale den Menschen offensichtlich helfen, Angstzustände und Stress zu reduzieren. Die Wiederholungen und der vertraute Ablauf vermitteln dem Gehirn ein Gefühl für Struktur, Regelmäßigkeit und Vorhersehbarkeit. Dadurch entsteht ein Gefühl der Kontrolle über die angstauslösende Bedrohung. So könnten Rituale auch ein Weg sein, um mit chronischer Angst umzugehen und Stress abzubauen.

Quellen:

Lang, M. et al. (2020): The role of ritual behaviour in anxiety reduction: an investigation of Marathi religious practices in Mauritius. Philosophical Transactions of the Royal Society - Biological Science 375 (1805), online veröffentlicht 29. 6. 2020. DOI 10.1098/rstb.2019.0431

Erstellt am 29. Juli 2020
Zuletzt aktualisiert am 29. Juli 2020

Unterstützen Sie Menschenswetter!

Die Höhe des Beitrags liegt in Ihrem Ermessen.

Weitere Informationen...

 3 Euro    5 Euro    12 Euro  
 Betrag selbst festlegen  

Gesundheitsrisiko Temperatursturz im April

Nach einer rekordverdächtigen Warmwetterphase von Februar bis Mitte April, ist jetzt das kühle wechselhafte April-Wetter mit Wind, Regen und vereinzelt auch Schneefall zurück. Der Temperatursturz um 15 bis 20°C ist an sich schon ein Gesundheitsrisiko, doch die physiologische und psychologischen Herausforderungen sind diesmal besonders drastisch. weiterlesen...


Schon wenig Rotwein kann massive Kopfschmerzen auslösen

Reichlich Rotwein am Abend kann morgens Kopfschmerz provozieren. Manchen Menschen leiden jedoch schon nach einem kleinen Glas oder gar einem Probierschluck Rotwein und rasch anflutenden Kopfschmerzen - nicht erst nach Stunden im alkoholvertieftem Komaschlaf, sondern unmittelbar anschließend bei hellwachem Bewusstsein. weiterlesen...


Impfsaison 2023/2024 für Menschen mit Atemwegserkrankungen

Robert-Koch-Institut (RKI) und Ständige Impfkommission (STIKO) empfehlen Menschen mit Asthma und COPD frühzeitige Impfung gegen Grippe (Influenza) und neue Corona-Varianten sowie eine Überprüfung des Pneumokokken-Schutzes zur Vorbeugung einer Lungenentzündung. Gerade in der jetzt beginnenden kalten Jahreszeit steigt neben Infektionen der oberen und unteren Atemwege auch das Risiko für spürbare Verschlechterung der Symptomatik von vorbestehenden Lungenerkrankungen. weiterlesen...


Künstliche Intelligenz (KI) unterstützt Ärzte bei der Diagnose

Das Konzept der KI (im Englischen treffender als Artificial Intelligence bezeichnet) ist in der aktuell populären Version auf die Komposition von Texten optimiert. In der medizinische Diagnostik werden andere Qualitäten gefordert. Doch schon heute liefern solche Anwendungen erstaunlich kompetente Unterstützung. weiterlesen...


Wetterwechsel provoziert Migräneattacken

Befragt man Menschen, die unter Migräne leiden, werden zuverlässig bestimmte Wetterlagen oder  eine besonders dynamische Veränderung des Wetters als Auslöser von Schmerzattacken genannt. Deshalb wurde dieser besondere Umwelt-Trigger schon vielfach untersucht. Neue Studien zeigen, dass es nicht die Wetterlage ist, die Schmerzattacken auslöst. weiterlesen...


Auf Rosen gebettet lernt es sich leichter

Gerüche können Kreativität und Lernerfolg verbessern. Freiburger Forscher haben nun untersucht, was genau der betörende Rosenduft bewirkt und in welcher Dosis er das Lernen erleichtert. weiterlesen...