Rauchermythen mal wieder widerlegt

Weniger Streß durch Nikotinverzicht

von Holger Westermann

Wenn Raucher zur Zigarette greifen, bemühen sie oft das Argument, akuten Stress zu lindern. Sie erhoffen sich kurzfristig spürbare und langfristig wirksame Unterstützung bei der Bewältigung psychischer Belastungen. Doch die regelmäßige Intoxikation mit Nikotin verstärkt die Probleme; erst Abstinenz lässt sie (ver)schwinden.

 

In einer Metastudie wurden 102 wissenschaftliche Forschungsarbeiten, die in einem größeren Zusammenhang Patientendaten analysierten (sog. Beobachtungsstudien) mit insgesamt knapp 170.000 Personen mit Blick auf die psychische Gesundheit von ehemaligen Rauchern (mindestens 6 Wochen Nikotinabstinenz, bis zu 6 Jahre) und weiterhin Rauchern verglichen. Letztendlich genügten 63 dieser Studien den Anforderungen der Forscher, so dass sie für diese Analyse verwandet werden konnten.

Das Ergebnis der zusammenfassenden Untersuchung war eindeutig: Wer auf Zigaretten verzichtet verbessert nicht nur seine körperliche sondern auch die psychische Gesundheit. Schon nach sechs Wochen ohne Zigarettenrauchen sank die Neigung zur Depressivität, Angst und Stress; die Menschen berichten von besserem allgemeinen Wohlbefinden - nicht nur der körperlichen Verfassung und Fitness. Auch die Befürchtung, dass der Verzicht auf die gemeinsame Zigarette die Intensität von Freundschaften schmälern könnte, erwies sich bei empirisch wissenschaftlicher Betrachtung als unbegründet; die sozialen Beziehungen wurden tendenziell sogar als besser eingeschätzt.

„Manche Raucher sorgen sich, dass sich ihr Sozialleben und ihre Freundschaften durch den Verzicht aufs Rauchen negativ verändern könnte“, beschreiben die Forscher den weit verbreiteten Irrtum. Doch das ist nicht der Fall, eher das Gegenteil: Zumeist bleibt der Verzicht auf Zigaretten ohne Einfluss auf soziale Beziehungen, aber „es ist so­gar möglich, dass der Rauchstopp mit einer kleinen Verbesserung des sozialen Wohlbefindens verbun­den ist“.

Viel wichtiger als die soziale Wirkung ist der Effekt auf das individuelle Wohlbefinden: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass ein Rauchstopp im Durchschnitt mit Verbesserungen der Stimmung verbunden war. Der Nutzen der Rauchentwöhnung scheint bei allen Menschen (wie man sie auch gruppiert, nach Geschlecht, sozialem Statur, Gesundheitszustand) ähnlich zu sein. Unbegründet ist die Befürchtung, dass sich die Gesundheit von Menschen mit psychischen Erkrankungen verschlechtern könnte, wenn sie aufs Rauchen verzichten.“, erklären die Forscher in ihrem Fazit zur Studie.

Obwohl die Quote der Raucher in der Gesellschaft hierzulande zurück geht, ist Zigarettenkonsum immer noch ein prominenter Risikofaktor für tödliche Herz-Kreislauf-Ereignisse, Lungenkrebs und andere Krebserkrankungen, COPD und andere Atemwegserkrankungen - und für einen schweren Verlauf einer Covid-19-Infektion. Insofern ist es alarmierend, wenn das Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) konstatiert, Deutschland sei europäi­sches Schlusslicht im Kampf gegen den gesundheitsschädlichen Tabakkonsum und Frau Dr. Ute Mons bei der Vorstellung des DKFZ-Raucheratlas 2020 beklagt: „Die Politik hat weitge­hend versagt bei der Tabakkontrolle“. Andere Staaten etablierten bereits umfassende Strategien ihre Bürger zum Tabakverzicht zu motivieren, beispielsweise kostenlose Entwöhnkurse (um den Ausstieg zu erleichtern), Stopp jeglicher Werbung von Tabakprodukten an Tankstellen, Kiosken und Supermärkten (um Spontankäufe zu vermeiden) und deutliche Erhöhungen der Tabaksteuer (um die Hürde für den Einstieg ins Rauchen von Jugendlichen zu erhöhen). Solche Schritte würden Deutschland nicht oder nur zögerlich angegangen. Dabei verwies sie auch auf die soziale Komponente des Problems: In Deutschland raucht unter den 25- bis 69-Jäh­rigen rund ein Viertel der Frauen und ein Drittel der Männer; aber rund 50% der Raucherinnen und sogar 60% der Raucher haben keinen Schulabschluß.

Gerade in dieser Bevölkerungsgruppe ist das Vorurteil weit verbreitet, rauchen sei „gesellig“, schütze vor depressiver Stimmung und die Zigarette könne helfen akuten Stress zu lindern. Der Irrtum wird offensichtlich, wenn es gelingt zumindest sechs Wochen ohne Zigaretten auszukommen.

Quellen:

Deutsches Krebsforschungszentrum, dkfz. (2020a): Tabakatlas 2020

Deutsches Krebsforschungszentrum, dkfz. (2020b): Tabakatlas 2020 auf einen Blick

Taylor, G.M.J. et al. (2021): Smoking cessation for improving mental health. Cochrane Database of Systematic Reviews 3 Article No.: CD013522, online veröffentlicht 8.3. 2021. DOI: 10.1002/14651858.CD013522.pub2.

Erstellt am 12. April 2021
Zuletzt aktualisiert am 12. April 2021

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