ADHS Kinder sind auch nach Jahrzehnten anfällig für psychische Erkrankungen

Wenn Zappelphilipp erwachsen wird

von Holger Westermann

Offensichtlich trügt die Hoffnung vieler Eltern – und Ärzte , dass sich die ADHS Erkrankung ihrer Kinder nach der Pubertät sukzessive auswachsen wird. Auch im Berufsleben, in Partnerschaft und eigener Familie müssen Betroffene mit einem erhöhten Risiko für psychische Probleme leben. Bei mehr als der Hälfte der Patienten (57%) bilden sich im Erwachsenenalter ernsthafte Erkrankungen aus.

Von 5.700 Kindern der Geburtsjahrgänge 1976 bis 1982 im US Bundesstaat Minnesota, die in einer umfangreichen Studie über Jahrzehnte ärztlich beobachtet wurden, entwickelten 367 eine Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Zum Ende der Studie waren diese ADHS-„Kinder“ durchschnittlich 27 Jahre alt und die Mehrzahl litt noch immer unter psychischen Problemen. Knapp 30% der Patienten zeigten weiterhin ADHS-Symptome, andere litten inzwischen unter Depression, Angststörungen oder antisozialen Persönlichkeitsstörungen (APS). Gerade die typische APS-Symptome (Gereiztheit und körperlich aggressives Verhalten, Vandalismus, Schulschwänzen) erscheinen als Eskalation der ADHS-Symptomatik.

In der Kontrollgruppe, bei der in Kindheit und Jugend keine ADHS diagnostiziert worden war, litten nur 35% unter psychischen Störungen. Das ist ebenfalls ein sehr hoher Wert, was durch die intensive ärztliche Begleitung während der Studie bedingt sein kann. Im Gegensatz zur Durchschnittsbevölkerung wurde bei diesen Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen jede Auffälligkeit registriert und diagnostiziert.

Fraglich ist jedoch, ob die auffällige Häufigkeit von psychischen Erkrankungen im Erwachsenenalter ein weiteres ADHS-Symptom darstellt, oder ob ADHS im Kindesalter und weitere psychische Störungen im Erwachsenenalter nur auf der selben Ursache beruhen. Ein Blick auf die Finanzierung der wissenschaftlichen Untersuchung relativiert die Schlussfolgerung der Forscher, denn die Studie wurde u.a. von der Pharmaindustrie (McNeil Consumer and Speciality Pharmaceuticals, Hersteller von Concerta® in den USA*) finanziert. So erstaunt es nicht, wenn die Autoren zu dem Fazit kommen: "Es ist ein Irrglaube, ADHS sei nur eine ärgerliche, übertherapierte Störung bei Kindern. Weiter entfernt von der Wahrheit könnten wir gar nicht sein. Wir brauchen für die Therapie von ADHS einen ähnlichen Ansatz wie bei der Behandlung anderer chronischer Erkrankungen, beispielsweise Diabetes."

Dennoch kann man Dr. William J. Barbaresi sicherlich zustimmen, wenn er empfiehlt von ADHS betroffene Kinder auch noch in der Pubertät und als junge Erwachsene medizinisch zu begleiten und bei Bedarf mit Medikamenten und geeigneter Psychotherapie behandeln zu lassen.



* McNeil unterstützt auch seit 2009 die Facebook-Seite “ADHD Allies: A Place for Adults with ADHD“ auf der intensiv für die Medikamententherapie bei ADHS im Erwachsenenalter geworben wird.

Quellen:

Barbaresi, W.J. et al. (2013): Mortality, ADHD, and Psychosocial Adversity in Adults With Childhood ADHD: A Prospective Study. Pediatrics, online veröffentlicht am 4. März 2013. DOI: 10.1542/peds.2012-2354

Pringle, E.; Rosenberg, M. (2012): Big Pharma’s newest invention: Adult ADHD. Salon, online veröffentlicht am 1.10.2012.

Erstellt am 11. März 2013
Zuletzt aktualisiert am 11. März 2013

Unterstützen Sie Menschenswetter!

Die Höhe des Beitrags liegt in Ihrem Ermessen.

Weitere Informationen...

 3 Euro    5 Euro    12 Euro  
 Betrag selbst festlegen  

Zwischenfrühling

Sonnenschein, Wärme an langen lichten Tage dieser Frühlingsdreiklang lockt hierzulande in den kommenden Tagen ins Freie. Das nasskalte Wetter weicht angenehmer Witterung. Für die Mehrzahl wetterempfindlicher Menschen eine Wohltat - leider wird auch der Pollenflug stimuliert. weiterlesen...


Beschleunigte Alterung der Gehirne erwachsener Frauen nach traumatiesierender Erfahrung in der Kindheit

Erleiden Mädchen emotionale, sexuelle oder physische Gewalt, müssen sie als Frauen mit einem höheren Risiko für Depressionen, Angststörungen, Fibromyalgie, Herzkreislauf - und Stoffwechselerkrankungen leben. Forscher der Charité Berlin haben nun einen weiteren neurologischen Effekt erkannt. weiterlesen...


Schon wenig Rotwein kann massive Kopfschmerzen auslösen

Reichlich Rotwein am Abend kann morgens Kopfschmerz provozieren. Manchen Menschen leiden jedoch schon nach einem kleinen Glas oder gar einem Probierschluck Rotwein und rasch anflutenden Kopfschmerzen - nicht erst nach Stunden im alkoholvertieftem Komaschlaf, sondern unmittelbar anschließend bei hellwachem Bewusstsein. weiterlesen...


Impfsaison 2023/2024 für Menschen mit Atemwegserkrankungen

Robert-Koch-Institut (RKI) und Ständige Impfkommission (STIKO) empfehlen Menschen mit Asthma und COPD frühzeitige Impfung gegen Grippe (Influenza) und neue Corona-Varianten sowie eine Überprüfung des Pneumokokken-Schutzes zur Vorbeugung einer Lungenentzündung. Gerade in der jetzt beginnenden kalten Jahreszeit steigt neben Infektionen der oberen und unteren Atemwege auch das Risiko für spürbare Verschlechterung der Symptomatik von vorbestehenden Lungenerkrankungen. weiterlesen...


Künstliche Intelligenz (KI) unterstützt Ärzte bei der Diagnose

Das Konzept der KI (im Englischen treffender als Artificial Intelligence bezeichnet) ist in der aktuell populären Version auf die Komposition von Texten optimiert. In der medizinische Diagnostik werden andere Qualitäten gefordert. Doch schon heute liefern solche Anwendungen erstaunlich kompetente Unterstützung. weiterlesen...


Wetterwechsel provoziert Migräneattacken

Befragt man Menschen, die unter Migräne leiden, werden zuverlässig bestimmte Wetterlagen oder  eine besonders dynamische Veränderung des Wetters als Auslöser von Schmerzattacken genannt. Deshalb wurde dieser besondere Umwelt-Trigger schon vielfach untersucht. Neue Studien zeigen, dass es nicht die Wetterlage ist, die Schmerzattacken auslöst. weiterlesen...