Eine erweiterte Diagnostik zur genauen Risikoeinschätzung ist dringend nötig
Frauenherzen erkranken anders als die der Männer
Bei Herz- und Kreislauferkrankungen unterscheiden sich Frauen und Männer so sehr, dass sowohl bei der Diagnose als auch in der Therapie geschlechtertypische Maßstäbe angelegt werden müss(t)en. So erleiden Männer unter 65 Jahren drei- bis viermal häufiger einen Herzinfarkt als gleichalte Frauen. Deshalb wurde dem weiblichen Infarkt lange Zeit nicht hinreichend medizinische Aufmerksamkeit geschenkt, obwohl schon ab dem 55. Lebensjahr wesentlich mehr Frauen an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung sterben als beispielsweise an Brustkrebs. Dabei fiel auch nicht auf, dass klassische Therapien gegen Hypertonie oder anderen Infarktrisiken bei Frauen kaum wirken oder sogar mehr schaden als nutzen.
Frauen und Männer haben ein geschlechtertypisches Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Zwar sind für beide Geschlechter die selben Risikofaktoren wirksam, jedoch in unterschiedlicher Bedeutung. So sind beispielsweise erhöhte Triglyzerid-Werte für Frauen schädlicher als für Männer, wohingegen sie von einer hohen Konzentration an „gutem“ HDL-Cholesterin im Blut stärker profitieren als Männer. Da sich dieser geschlechtstypische Effekt egalisiert, sobald die Frauen die Wechseljahre erreichen, gehen Mediziner von einem positiven Effekt der weiblichen Geschlechtshormone (Östrogene) aus. Diese Hormone senken den Spiegel des „schlechte“ LDL-Cholesterins.
In jüngeren Jahren (unter 65) sind Frauen deutlich seltener von Herzinfarkten betroffen als Männer. Bis zur Menopause (dem Aussetzen der Regelblutung) haben Frauen, unter anderem aufgrund der weiblichen Geschlechtshormone (Östrogene), einen Vorteil, da diese Hormone das Blutfett LDL-Cholesterin senken. Ist zu viel LDL-Cholesterin im Blut vorhanden, lagert es sich in den Gefäßen ab und erhöht damit das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die Einnahme von Östrogenen zur Vorbeugung gegen einen Herzinfarkt wird jedoch nicht empfohlen.
Der Risikofaktor Zigarettenrauchen schädigt Herz und Kreislauf von Frauen stärker als von Männern. Bei Frauen unter 50 Jahren ist Rauchen die Hauptursache für eine koronare Herzerkrankung (KHK, beispielsweise Angina pectoris). Schon ein geringer Konsum von weniger als fünf Zigaretten täglich genügt, um das Infarktrisiko deutlich zu steigern. Junge Raucherinnen, die mit der Antibabypille verhüten, sind dabei in besonderem Maß gefährdet. Bei rauchenden Männern zeigen sich dagegen die Herz-Kreislauf-Folgen ihrer Sucht zumeist erst in fortgeschrittenem Lebensalter.
So ist es offensichtlich für Ärzte, die von einer typisch männlichen KHK ausgehen, nicht einfach, bei Frauen eine zuverlässige Diagnose zu stellen. Darauf weisen geschlechtertypische Unterschiede bei der Sensitivität (SE, Erkennen von Erkrankten) und Spezifität (SP, Ausschließen von in dieser Hinsicht Gesunden) etablierter Diagnosemethoden hin. So zeigen Frauen bei Herzfrequenz und Blutdruck während körperlicher Anstrengung (Ergometrie) eine geringere Sensitivität (SE = 61%, Männer SE = 68%) und geringere Spezifität (SP = 70%, Männer SP = 77%). Die Belastungsechokardiografie (Ultraschalluntersuchung des Herzens bei körperlicher Anstrengung, Stressecho) erreicht bei Frauen eine geringere Spezifität (SP = 76%, Männer SP = 88%). Aufgrund der vielen Untersuchungen bedeuten die wenigen Prozentpunkte tausende von Fehldiagnosen.
Auch die Fokussierung auf männertypische Krankenkarrieren könnte dazu beitragen, dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Frauen seltener und selten rechtzeitig diagnostiziert werden. Denn Jahre bevor Männer einen Herzinfarkt erleiden, entwickelt sich bei ihnen eine Arteriosklerose (Arterienverkalkung) der großen Blutgefäße und Herzkranzgefäße. Bei Frauen fehlt dieses Warnsignal zumeist. Dem weiblichen Infarkt wird das Herz nur noch eingeschränkt durchblutet (koronare Minderperfusion), obwohl sich an den großen Arterien keine Veränderungen feststellen lassen. Deshalb ist eine vorbeugende Therapie mit Blutverflüssigern (Thrombozytenaggregations-Hemmer, beispielsweise Acetylsalicylsäure, ASS, Aspirin®) geeignet das Herzinfarkt-Risiko bei Männern um 23% zu senken, bei Frauen jedoch nur um 5%.
Doch auch bei anderen Herz-Kreislauf-Arzneimitteln zeigen sich geschlechtertypische Unterschiede in Wirksamkeit und Verträglichkeit. So ist bei Männern der Magen-Darm-Trakt agiler (Motilität) als bei Frauen, weshalb die Wirkstoffe der Arzneimittel von Männern rascher und vollständiger aufgenommen werden. Dagegen ist das Magen-Enzym Aldehyddehydrogenase bei Frauen weniger aktiv als bei Männern, weshalb sie Alkohol schlechter abbauen können. Das betrifft aber nicht nur den Trinkalkohol, sondern auch chemisch verwandte Arzneistoffe. Deshalb sollte bei Patientinnen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen darauf geachtet werden, dass die Betablocker Carvedilol, Metoprolol, Nebivolol und Propranolol entsprechend schlechter abgebaut werden und infolgedessen mit stärkeren Nebenwirkungen zu rechnen ist.
Männern, die an einer Herzschwäche (Herzinsuffizienz) leiden, kann mit Digitalis-Medikamenten (Fingerhut-Cardenolide, Herzglykoside) wirksam geholfen werden. Sie verringern wirksam die Schlagfrequenz des Herzens und steigern die Pumpleistung pro Herzschlag (Kontraktionskraft). Bei Überdosierung kann es jedoch zu Herzrhythmusstörungen und Kammerflimmern kommen. Wohlmöglich ist eine solche Überdosierung der Wirkstoffe bei einer Therapie mit Fertigarzneimitteln dafür verantwortlich, dass Digitalis-Medikamente bei Frauen mit Herzschwäche die Sterbewahrscheinlichkeit eher erhöhen, anstatt sie zu senken.
Frauen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, von Bluthochdruck über KHK bis zu Angina pectoris und Herzrhythmusstörungen, zeigen vielfach andere Symptome als männliche Patienten. Die Genese (Entwicklung im konkreten Krankheitsfall) der Erkrankung, verläuft oft über andere Zwischenstufen. Zudem reagieren Patientinnen oft anders auf Diagnose und Medikamente als Männer. So fordert die Kardiologin Frau Prof. Dr. Irene Lang von der Medizinischen Universität Wien (Österreich) mit ihren Kollegen vehement weitere Grundlagen- und klinische Forschung, um zukünftig mehr Licht in das Verständnis dieser komplexen Erkrankung zu bringen und dadurch zu einer verbesserten Prävention und Behandlung von Patientinnen mit KHK beizutragen.
Quellen: Humenberger, M.; Zielinski, V.; Lang, I.M. (2008): Geschlechtsspezifische Aspekte der weiblichen KHK. Journal für Kardiologie 15(9-10): 282-290 Kautzky-Willer, A.; Leitner, M. (2013): Nur „der kleine Unterschied“? – Gesundheit von Mann und Frau. Der Hausarzt 3/13: 38-41.
Erstellt am 25. Juni 2013
Zuletzt aktualisiert am 25. Juni 2013

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