Interview-Analyse mit Rheuma-Patienten
Warum Therapietreue so schwer fällt
Bleibt der erhoffte Therapieerfolg aus, steht sehr schnell die Frage nach der Therapietreue der Patienten im Raum. Irgendjemand muss doch dafür verantwortlich sein, dass der nach medizinischer und pharmazeutischer Kunst therapierte Patient nicht gesundet, dass die Behandlungskosten steigen, da sind sich Ärzte, Apotheker, Pharmaindustrie und Krankenkassen einig. Die mangelhafte Therapietreue der Patienten, ihre Unzuverlässigkeit, ja der Ungehorsam gegenüber der Therapieanweisung und Medikamentenverordnung sei der Grund. Das oft genutzte Schlagwort lautet „Non-Compliance“.
Doch warum sollten sich Menschen, die unter einer hässlichen, lästigen, schmerzhaften oder gar lebensbedrohlichen Krankheit leiden einer sinnvollen Therapie verweigern? Warum nehmen viele Patienten die verordneten Medikamente gar nicht oder in einer anderen Dosierung ein, als es ihnen der Arzt oder Apotheker (oder der Beipackzettel) empfohlen hat? Dieser Frage ging ein Wissenschaftlerteam des Deutschen Rheuma Forschungszentrums (DRFZ) an der Charité in Berlin (Deutschland) nach.
Die Untersuchung nutzte die Daten von 900 Patienten, die im Jahr 2000/2001 seit weniger als 2 Jahren an rheumatoider Arthritis (RA) erkrankt und diagnostiziert waren. Die Patienten füllten damals einen Fragebogen aus: Aktivität der RA, Ausmaß ihrer körperlichen Einschränkung, diagnostizierte Begleiterkrankungen sowie weitere Erkrankungen, Einschätzung der Lebensqualität, Durchschnittliche Anzahl der Tage krankheitsbedingter Abwesenheit vom Arbeitsplatz, Art und Umfang der ärztlichen Therapie, Zahl und Umfang von Krankenhausaufenthalten, eingenommene Medikamente sowie deren Wirksamkeit und Nebenwirkungen. Fragen, die so auch Meschen gestellt werden könnten, die an anderen chronishcne Erkrankungen leiden, die eine dauerhafte Medikamenteneinnahme erfordern. Aus dem Kreis dieser Patienten wurden im Jahr 2008 insgesamt 103 Teilnehmer für eine Studie zur Therapietreue angeschrieben, davon erklärten sich 29 zur Teilnahme bereit. Sie litten zu diesem Zeitpunkt bereits acht bis zehn Jahre an RA und können demnach als erfahrene Patienten gelten.
Mit den 29 Patienten wurden eingehende Interviews zu ihrem Therapieverhalten geführt. Dazu entwickelten die Wissenschaftler einen mehrstufigen Fragebogen, mit insgesamt 22 offen Fragen zu 5 Themen:
- Wissen über RA und Einfluss der RA für das Leben der Patienten (4 Fragen)
- Bedeutung von Information und Erklärungen (7 Fragen)
- Erfahrung mit dem Gesundheitssystem, Physiotherapeuten, Ärzten, Kliniken (9 Fragen)
- Abschlussfragen (2 Fragen)
- So war gewährleistet, dass die Interviews bei allen Patienten in gleicher Form abliefen.
Das Ergebnis fassen die Forscher in fünf Betrachtungen und einem Fazit zusammen:
- Medikamente, die belastende Suche nach der optimalen Therapie
- Nebenwirkungen, das Abwägen von Nutzen, Risiken und zusätzlichen Beschwerden
- Angst-provozierende Einflüsterung am Beispiel RA und Krebserkrankungen
- Compliance aus Sicht des Patienten
- Bedeutung der Arzt-Patient-Beziehung für die Therapie-Entscheidungen
Bemerkenswert ist, dass chronisch kranke Menschen auch dann an Medizin und einer optimalen Therapie interessiert sind, wenn die gelegentlich eine Comlpiance-Schwäche durchleben. Verantwortlich dafür ist oft ein Wechsel der Medikamente aufgrund einer aktuellen Therapieänderung, das Leiden unter Nebenwirkungen der Medikamente, eine sich im Lauf der Jahre einschleichende Therapiemüdigkeit, die Skepsis gegenüber dauerhafter Medikation und häufig auch eine als unzureichend empfundene Kommunikation mit dem behandelnden Arzt.
Die Autoren empfehlen hier anzusetzen und die Wahl der Therapiemaßnahmen als gemeinsame Entscheidung von Arzt und Patient zu fällen. Die Patienten können die Auswahl dann leichter akzeptieren, zumal während des Auswahlprozesses jede Alternative ausführlich erläutert werden muss. Dabei werden Medikamente, Wirkungen und Nebenwirkungen, Maßnahmen zu Physiotherapie aber auch langfristige Gesundheitsrisiken, Ängste und Folgen für den Lebensstil besprochen. Die Autoren der Studie plädiert für eine solche Form partnerschaftlicher Unterstützung chronisch kranker Menschen, um ihnen bei der oft jahrzehntelanger Medikamententherapie und den massiven Eingriffen in die Lebensgestaltung zu helfen, anstatt ihnen de facto immer wieder mit dem Vorwurf Non-Compliance zu begegnen.
Quellen: Stamer, M. et al. (2013): Noncompliance: A Never-Ending Story. Understanding the Perspective of Patients with Rheumatoid Arthritis. FQS, Forum Qualitative Social Research 14(3): Artikel 7.
Erstellt am 18. August 2013
Zuletzt aktualisiert am 18. August 2013

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