Mimik ist Ausdruck und Ursache des Gemütszustandes

Botox lindert Depression

von Holger Westermann

Das Nervengift Botulinumtoxin A lähmt die Muskulatur. Heutzutage wird es vorrangig eingesetzt um einzelne Bereiche der mimischen Muskulatur auszuschalten, damit Gesichtsfalten verschwinden. Ursprünglich wurde mit dem Medikament schielenden Menschen geholfen, indem gezielt Augenmuskeln lahm gelegt wurden, um den Sehfehler zu korrigieren. Schon seit Längerem wird die Wirkung von Botox bei Migräne untersucht, nun mehren sich die Hinweise auf positive Effekte bei Depression.

Botox blockiert die Weiterleitung von Nervensignalen und unterbindet so die Muskelaktivität. Eine Hoffnung war, dass die Unterbrechung der Kommunikation unter Nervenzellen mittelbar auch die Schmerzepisoden bei Migränepatienten lindern könne. Leider trifft dies bei der Mehrzahl der Menschen mit Migräne nicht zu. Menschen mit leichter Migräne, die vergleichsweise selten Schmerzepisoden plagen, und mittelschwerer Migräne profitieren nicht von einer Botoxbehandlung. Nur bei schwerer chronischer Migräne konnte ein positiver Effekt festgestellt werden. Doch diese Patienten werden ohnehin sehr intensiv und mit hochwirksamen Medikamenten behandelt, leiden sie doch durchschnittlich zumindest jeden zweiten Tag an Kopfschmerzen und an 8 Tagen im Monat am Vollbild einer Migräne-Schmerzepisode.

Eine aktuelle Studie legt nun nahe, dass Botox auch Menschen helfen kann, die unter Depression leiden. Die Psychiater Eric Finzi und Norman Rosenthal spritzten 74 Patienten mit diagnostizierter Depression wie bei einer Anti-Falten-Botoxbehandlung in den Stirn- oder Augenbrauenrunzler (Musculus corrugator supercilii). Bei 33 Patienten enthielt die injekzierte Flüssigkeit Botulinumtoxin A, bei den 41 Patienten der Placebo-Gruppe handelte es sich um wirkungslose Kochsalzlösung.

Nach sechs Wochen wurden die Patienten in Hinblick auf ihre psychische Konstitution untersucht. Bei 52% der Patienten aus der Botox-Gruppe hatten sich die Indizien für eine Depression reduziert, in der Placebo-Gruppe war dies nur bei 15% der Patienten der Fall. Damit werden die Ergebnisse einer Studie von Wollmer und Kollegen aus dem Jahr 2012 bestätigt. Die Autoren vermuteten damals, dass bereits „eine einzige Botulinumtoxin-Behandlung der Glabella-Region (haarlose Hautregion zwischen den Augenbrauen) bei Patienten, die auf andere Medikamente nicht hinreichend ansprachen, eine starke und anhaltende Linderung der Depression erzielen kann. Dies stützt das Konzept, dass die Gesichtsmuskulatur nicht nur Ausdruck, sondern auch Regulativ der Stimmungslage ist.“

Das Konzept der emotionalen Propriozeption (Facial-Feedback-Hypothese) geht davon aus, dass der Gemütszustand nicht nur durch die mimische Muskulatur ausgedrückt wird, die Anspannung der Gesichtsmuskeln gibt dem Gehirn auch Auskunft über den aktuellen emotionalen Zustand. Dieser Rückkopplungseffekt ist bisher noch nicht vollständig verstanden, eröffnet aber neue Therapiemöglichkeiten. Emotionen, die Menschen mit Depression unkontrollierbar stark belasten, wie Angst und Traurigkeit aber auch Ärger (über sich selbst wie über andere), spiegeln sich besonders deutlich im Gesichtsausdruck wider. Werden genau diese Muskeln durch Botox gelähmt, könnte es gelingen, die symptom-verstärkende und -stabilisierende Rückkopplung zum Gehirn zu unterbrechen. Das sich immer tiefer Hineinziehen in eine Depression könnte so gestoppt werden. Damit wäre die Depression nicht geheilt, aber vielfach könnte eine Eskalation der Symptome verhindert werden.

Quellen:

Finzi, E.; Rosenthal, N. (2014): Treatment of depression with onabotulinumtoxin A: A randomized, double-blind, placebo controlled trial. Journal of Psychiatric Research 52: 1–6. doi:10.1016/j.jpsychires.2013.11.006 (Erstveröffentlichung der Daten als Poster W5, Poster Session III vorgestellt am 05.12.2012 auf dem 51. Kongress des American College of Neuropsychopharmacology (ACNP). doi:10.1038/npp.2012.221)

Westermann, H. (2012): Maskengesicht mildert die Migräne nicht. Menschenswetter Artikel 355, online veröffentlicht am 30.06.2012.

Wollmer, M.A. et al. (2012): Facing depression with botulinum toxin: A randomized controlled trial. Journal of Psychiatric Research 46 (5): 574-581. doi:10.1016/j.jpsychires.2012.01.027

Wollmer, M.A. et al. (2013): Der Depression die Stirn bieten – mit Botulinumtoxin. Nervenheilkunde 12/2013: 929-932

Erstellt am 29. März 2014
Zuletzt aktualisiert am 30. März 2014

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