Ritalin® ist ungeeignet um bei Gesunden Konzentration und Motivation zu verbessern
Kurzfristig hilfreiches Hirndoping provoziert nachhaltige Nebenwirkungen
Effektiver Lernen, weil sich Konzentrationsfähigkeit und Motivation deutlich verbessern – für viele Menschen ist das ein hinreichender Grund Psychopharmaka einzunehmen. Besonders unter Studenten und Berufseinsteigern, denen ein enormes Lernvolumen abverlangt wird, neigen zum Griff ins Medikamentenregal. Legal ist das nicht, denn die Arzneimittel sind durchweg verschreibungspflichtig. Aber es ist auch ein leichtfertiges Spiel mit enormen Gesundheitsrisiken – die Körper, Geist und Seele betreffen.
Am weitesten verbreitet ist das Hirndoping mit Methylphenidat. Unter dem Handelsname Ritalin® wird dieser Wirkstoff zur Behandlung von Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom und Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivität-Syndrom (ADS, ADHS) eingesetzt. Der jährliche Absatz in Mitteleuropa bemisst sich in mehreren Tonnen (1.000kg) des reinen Wirkstoffs. So ist es nicht erstaunlich, dass sich neben der legalen Verfügbarkeit auf Rezept auch ein illegaler Markt etablieren konnte. Die Arzneimittel sind offensichtlich leicht verfügbar. So nutzen bis zu 16% der Medizin(!)-Studenten (je nach Nation) Ritalin® zur Bewältigung ihres Lernpensums. Besonders hoch ist die Quote in den USA.
"Gerade junge Erwachsene stehen einem zunehmenden Druck gegenüber, immer mehr Leistung zu bringen und sind daher in Versuchung, entsprechende Mittel zu nehmen", erklären Frau Dr. Kimberly Urban und Herr Prof. Dr. Wen-Jun Gao, die Relevanz ihrer Studie zu den langfristigen Folgen einer unsachgemäßen Ritalin-Anwendung.
So zeigten Experimente mit jungen Ratten, dass schon niedrige Dosen Methylphenidat die Erregbarkeit der Hirnzellen im präfrontalen Cortex dämpften. Damit hatte der Wirkstoff direkten Einfluss auf das Verhalten der Tiere. Die Plastizität des Verhaltens, die Fähigkeit auf Umweltveränderungen adäquat zu reagieren, sowie die Lernfähigkeit waren gegenüber unbehandelten Vergleichstieren deutlich reduziert – und der Effekt bliebt über die Lebenszeit der Tiere erhalten.
Nach Auffassung der Autoren ist der weit verbreitete Ritalin®-Missbrauch unter Heranwachsenden vor diesem Hintergrund eine ernsthafte Gefahr für deren physische und psychische Entwicklung. Das Medikament wird in einem Alter eingenommen, zu dem der präfrontale Cortex noch nicht voll entwickelt ist. Erst im Alter von 30 Jahren haben sich die neuronalen Grundlagen der “Persönlichkeit” weitgehend gefestigt. Bis dahin ist die Gehirnentwicklung besonders sensibel gegenüber Schwankungen wichtiger Hirnbotenstoffe wie Dopamin und Norepinephrin. Genau deren Aktivität wird durch Methylphenidat beeinflusst. So kann der Wirkstoff “die Reifung des präfrontalen Cortex stören und bleibende Verhaltensänderungen nach sich ziehen", warnen die Wissenschaftler.
Spürbar beeinträchtig wird insbesondere die Verhaltensplastizität "sie ist die Basis für das Arbeitsgedächtnis und aktive Entscheidungsfindung", erklären die Forscher die langfristigen Folgen. Psychopharmaka verändern die Anknüpfungsstellen (Rezeptoren) für die Hirnhormone. Selbst wenn genug Hormone und anderer Botenstoffe ausgeschüttet werden, könne sie aufgrund der reduzierten Rezeptorendichte nicht richtig wirken.
Eine unangebrachte Ritalin®-Therapie aufgrund einer voreiligen Fehldiagnose oder der beabsichtigte Missbrauch, um die Lerneffizienz kurzfristig zu steigern, könnte für gesunde Jugendliche und junge Erwachsene nachhaltige Folgen für die Gesundheit nach sich ziehen – die bei korrekter ADS/ADHS-Diagnose und weniger Lernstress (beispielsweise durch rechtzeitigen Beginn der Prüfungsvorbereitungen) vermeidbar sind.
Quellen: Urban, K.R.; Gao, W.-J. (2014): Performance enhancement at the cost of potential brain plasticity: neural ramifications of nootropic drugs in the healthy developing brain. Frontiers in Systems Neuroscience 8: 38, online veröffentlicht am 13.05. 2014. doi: 10.3389/fnsys.2014.00038 Westermann, H. (2013): Ärzte verschreiben bei ADHS-Verdacht leichtfertig Ritalin. Menschenswetter Artikel 674, online veröffentlicht am 15.05. 2013 Westermann, H. (2014): Zappelphilipp beruhigt sich auch ohne Pillen. Menschenswetter Artikel 1023, online veröffentlicht am 28.04. 2014
Erstellt am 17. Mai 2014
Zuletzt aktualisiert am 24. Februar 2015

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